Von der Lüge zum „Bullshitting“: Eine Gefahr für die Demokratie
Die Tatsache, dass Politiker gelegentlich die Unwahrheit sagen, ist keineswegs eine Neuigkeit. Ebenso wenig überrascht es, dass große Unternehmen erhebliche Summen in Image-Kampagnen investieren, die auf strategischen Halb- oder Unwahrheiten basieren. Was jedoch zunehmend besorgniserregend wird, ist das Ausmaß der Desinformation, die unsere Gesellschaft überschwemmt und mittlerweile eine ernsthafte Bedrohung für demokratische Strukturen darstellt.
Ein signifikanter Wendepunkt hin zur postfaktischen Politik wird oft im Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016 gesehen. Plötzlich schien es möglich, trotz oder gerade wegen der Verbreitung offensichtlicher Unwahrheiten, Präsident einer Großmacht zu werden.
In vergangenen Zeiten war es für Politiker oftmals beschämend, wenn ihre Unwahrheiten aufgedeckt wurden. Doch postfaktische, populistische Politiker wie Trump, Putin oder Bolsonaro haben erkannt, dass in der Ära der Aufmerksamkeitsökonomie nicht die Art der Berichterstattung entscheidend ist, sondern deren Quantität. Die Aufregung um Trumps „alternative Fakten“ lenkte viele davon ab, sich mit anderen wichtigen Themen auseinanderzusetzen.
Trump wird häufig als Meister des „Bullshittings“ bezeichnet. Während ein Lügner glaubt zu wissen, was die Wahrheit ist, und sein Gegenüber absichtlich täuscht, ist für den Bullshitter die Wahrheit völlig irrelevant. Meinungen und Fakten verschmelzen vollständig. Der Bullshitter verbreitet Dinge, die sich für ihn richtig anfühlen, und erschafft so seine eigene Parallelrealität. Der US-amerikanische Wissenschaftsphilosoph Lee McIntyre ist der Überzeugung, dass postfaktische Bullshit-Rhetorik eine politische Taktik darstellt. Ziel sei es, die Deutungshoheit über die Wirklichkeit zu erlangen: „Zuerst kontrollierst du die Wahrheit, dann kontrollierst du die Menschen. Es geht nicht darum, die Bürger zu überzeugen, sondern ihnen zu zeigen, wer der Boss ist.“
Diese Entwicklung stellt eine fundamentale Bedrohung für demokratische Prozesse dar. Demokratie beruht auf einem informierten Elektorat, das Entscheidungen auf der Basis von Fakten und logischem Denken trifft. Wenn Politiker jedoch zur Bullshit-Rhetorik greifen, untergraben sie das Fundament der Wahrheit, das für eine sinnvolle öffentliche Diskussion und Entscheidungsfindung unerlässlich ist. Die Folgen sind gravierend: Es fördert nicht nur Zynismus und politische Apathie unter den Bürgern, sondern begünstigt auch autoritäre Tendenzen, indem die Macht in den Händen derjenigen zentralisiert wird, die am effektivsten die Realität manipulieren können.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, ist die Förderung von Medienkompetenz von entscheidender Bedeutung. Die Öffentlichkeit muss lernen, glaubwürdige Informationen von manipulativer Rhetorik zu unterscheiden. Zudem muss die Medienlandschaft einen Weg finden, über Unwahrheiten zu berichten, ohne sie zu verstärken. Der Kampf gegen Desinformation ist nicht nur eine Frage der Widerlegung von Lügen, sondern auch der Stärkung des Stellenwerts der Wahrheit im öffentlichen Diskurs.
Der Übergang von der Lüge zum „Bullshitting“ markiert einen tiefgreifenden Wandel in der politischen Kommunikation, der ein gemeinsames Handeln von Individuen, Institutionen und der Gesellschaft als Ganzes erfordert. Die Gesundheit der Demokratien weltweit hängt von unserer kollektiven Fähigkeit ab, die Wahrheit zu priorisieren, offene und ehrliche Dialoge zu fördern und diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die versuchen, ihre eigene Realität zu konstruieren.