„Wirtschaft, die tötet“
Vatikan erklärt Armut zur sozialen Sünde
Die Vorstellung der Apostolischen Exhortation Dilexi te von Papst Leo XIV. hat ein starkes Licht auf eine unbequeme Wahrheit geworfen: Armut ist nicht nur ein soziales Problem, sondern eine „soziale Sünde“, die aus ungerechten Strukturen erwächst. Damit ruft der Papst die Kirche und die Weltgemeinschaft gleichermaßen auf, nicht bei Almosen stehenzubleiben, sondern die Wurzeln des Unrechts anzugehen.
Armut als Frucht zerstörerischer Strukturen
Kardinal Michael Czerny benannte klar die Ursachen: Egoismus und Gleichgültigkeit verfestigen sich in den Systemen unserer Wirtschaft und Kultur. Eine „Wirtschaft, die tötet“, misst den Menschen nicht mehr an seiner Würde als Ebenbild Gottes, sondern an seiner Produktivität, seinem Konsum und seinem Gewinnpotenzial.
Diese Mentalität macht die Ausgrenzung der Schwachen und Unproduktiven gesellschaftlich akzeptabel. Daher, so Czerny, verdient sie zu Recht das Etikett einer sozialen Sünde. Die Antwort der Kirche darf nicht im Verteilen von Spenden enden – so notwendig dies auch ist –, sondern muss auf die Bekehrung der Strukturen abzielen.
Begegnung mit den Armen – ein Sakrament
Die Ordensfrau Clémence von den Kleinen Schwestern Jesu erinnerte daran, dass Armut nicht abstrakt ist, sondern ein menschliches Gesicht hat. Sie berichtete von ihren Jahren unter Roma-Frauen in Süditalien, die sie als „doppelt arm“ beschrieb. Und doch habe sie in ihnen wahre spirituelle Lehrerinnen gefunden.
In ihren „alltäglichen Gesten des Heldentums“ und ihrem Vertrauen auf die Vorsehung sah sie ein lebendiges Sakrament. Armut, so ihr Zeugnis, ist nicht nur eine Last, sondern ein Ort, an dem Gott den Menschen nahekommt.
Von Worten zu Taten
Kardinal Konrad Krajewski stellte klar, dass die Botschaft von Dilexi te nicht im theologischen Diskurs verharren darf. Spenden, so betonte er, seien nicht bloße Hilfen, sondern Akte, die eine geistliche Bedeutung haben: „Das Almosen tilgt die Sünden.“ Er verwies darauf, dass während der Synode gesammelte Mittel direkt nach Gaza geschickt wurden – ein Zeichen gelebter Solidarität.
Vision einer Kirche ohne Grenzen
Kardinal Matteo Zuppi fasste die Stoßrichtung des Schreibens zusammen: Die Kirche soll die Letzten und Ausgeschlossenen ins Zentrum stellen. Papst Leo XIV. lade ein zu einer Kirche, die keine Grenzen kennt, die keine Feinde sieht, sondern nur Menschen, die es zu lieben gilt.
Dies bedeutet eine radikale Umkehr – von Analysen zu Taten, von Gleichgültigkeit zu Fürsorge. Eine Kirche, die Christus treu ist, muss eine Kirche der Armen sein.
Die Frage nach dem Reichtum des Vatikans
Doch hier erhebt sich eine ernste Frage, die nicht verschwiegen werden darf: Verstärkt nicht auch der Vatikan selbst die „Strukturen der Sünde“, wenn er in seinem Reichtum verharrt, während unzählige Menschen im Elend leben?
Die Kirchenväter haben uns gewarnt: Johannes Chrysostomos fragte schon im 4. Jahrhundert, welchen Sinn goldene Kelche hätten, wenn Christus im Armen draußen vor der Tür hungert. Und Augustinus erinnerte: „Wer sagt, dass er Gott liebt, und kein Mitleid mit den Bedürftigen hat, der lügt.“
Wenn also der Vatikan in Pracht und Besitz glänzt, aber den Armen nicht in den Mittelpunkt stellt, wird er selbst schuldig an der Sünde, die er verurteilt.
Fazit
Für uns Templer ist die Botschaft klar: Die Liebe zu den Armen ist der Prüfstein des Glaubens. Eine Kirche, die sich im Glanz verliert und den Schrei der Bedürftigen überhört, hat den Geist Christi verraten.
Die Exhortation Dilexi te ist daher nicht nur ein Wort an die Welt, sondern auch ein Spiegel für die Kirche selbst. Möge sie den Mut haben, den Armen nicht nur mit Worten, sondern mit ihrem eigenen Handeln gerecht zu werden.
