Lehrbrief GR 76

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Gott zum Gruße.
Non nobis Domine, Domine non nobis, Domine, sed nomini, sed nomini tuo da gloriam.

Templer-Wandmalerei – Spiegel gelebter Spiritualität

Wenn Du heute eine der wenigen erhaltenen Templerkapellen oder Konventgebäude betrittst, dann blickst Du auf mehr als nur altes Mauerwerk. Du betrittst einen Raum, der einst durch Licht, Gebet und Farbe erfüllt war – ein Raum, in dem die Wandmalerei nicht bloße Dekoration war, sondern ein Ausdruck tiefster Spiritualität, religiöser Identität und ritterlicher Selbstverpflichtung.

Die Anfänge im 12. Jahrhundert

Die ersten bekannten Wandmalereien in Gebäuden des Templerordens entstanden im 12. Jahrhundert – oft zeitgleich mit dem Bau oder der Übernahme von Kapellen durch Schenkung. Nicht selten bestimmten die Stifter selbst mit, welche Heiligen oder Motive abgebildet wurden, denn die Kapellen dienten auch dem Gedächtnis der Dynastien, die dem Orden verbunden waren.

Das Besondere an diesen Malereien ist ihre Zurückhaltung in Farbe und Form: Meist kamen nur weiß, schwarz und rot zum Einsatz – Farben, die mit dem Geist der Zisterzienser verwandt sind, deren Ästhetik der Orden in vielen Punkten teilte. Gemaltes Mauerwerk, Säulen, Rosetten und einfache, klare Kompositionen spiegelten nicht nur künstlerische Zurückhaltung, sondern eine tiefe Askese und Demut.

Themen und Bildwelten

Die Templer malten, was ihrem Selbstverständnis entsprach:

  • Christus als leidender König, besonders Szenen der Passion

  • Apostel und Märtyrer, denen sie sich im ritterlichen Gehorsam verbunden fühlten

  • Verkündigung und Marienkrönung, als Ausdruck ihrer marianischen Frömmigkeit

  • Schlachtszenen, wie in Cressac – eine visuelle Apologie ihres Einsatzes im Heiligen Land

In Cressac beispielsweise finden sich großflächige Fresken, die vermutlich eine reale Kreuzfahrerschlacht darstellen – wahrscheinlich La Boquée (1163), ein triumphaler Moment der Templer gegen die Truppen Nur-ed-Dins. Hier wurde der Krieg nicht als weltlicher Akt, sondern als heiliger Dienst ins Bild gesetzt.

Auch das Alte Testament wurde thematisiert: Der Kampf Samsons – etwa in St. Coloma de Queralt – symbolisierte die Stärke des Glaubens gegen scheinbar übermächtige Feinde.

Ornamentik und Geometrie

In vielen Templerbauten findest Du geometrische Fresken – ein Erbe spätantiker und frühmittelalterlicher Ornamentik, aber auch Ausdruck einer symbolischen Ordnung, die an die kosmische Struktur der Welt erinnert. Besonders berühmt: die Kapelle von Montsaunès, wo sich Kreise, Kreuze und Rosetten in asymmetrischer, aber dennoch bedeutungsschwerer Anordnung finden.

Diese Wandgestaltung war kein Zufall. Sie diente der Meditation – sie war ein stilles Lehrbuch für den, der sehen wollte. In den Konventen tauchten zusätzlich Reihen von Wappenschilden auf – ein Hinweis auf Stifter, Bruderschaften oder die Herkunft der Brüder.

Wandel und Übermalung

Im Laufe des 13. Jahrhunderts kam es zu einer Veränderung des Zeitgeschmacks. Viele der ursprünglich strengen Bildprogramme wurden:

  • durch farbenprächtige Bildergeschichten ergänzt

  • oder sogar vollständig übermalt

Dadurch entstanden Mischformen, die heute nur noch schwer zu rekonstruieren sind. Was wir über viele Malereien wissen, stammt aus Aquarellen des 18. und 19. Jahrhunderts, die glücklicherweise einige Details bewahrt haben.

Bekannte Orte mit Templerfresken

Wenn Du einmal auf Spurensuche gehen möchtest, lohnt sich ein Blick auf folgende Orte:

  • Frankreich: Andrivaux, Artins, Cressac, Montsaunès, Ruou, Villemoison

  • Spanien/Portugal: St. Coloma de Queralt, Taboada dos Freires

  • Italien: San Bevignate bei Perugia

  • Deutschland: Mücheln

Kein Kult um Gründer

Im Gegensatz zu den Benediktinern oder Franziskanern entwickelten die Templer keine spezifische Gründerikonographie. Weder Hugues de Payns noch andere Gründergestalten erscheinen als Heilige oder Lehrer in Fresken oder Skulpturen. Der Blick war nicht auf Persönlichkeiten gerichtet – sondern auf das Vorbild Christi, dem sie nachfolgten.

Fazit: Malerei als Spiegel des Ordensgeistes

Die Wandmalereien der Templer erzählen Dir keine frommen Märchen – sie zeigen Dir, wie ein Ritterorden dachte, glaubte und fühlte. Ihre Bildsprache war klar, streng und zugleich tief symbolisch. Sie verband Glauben, Disziplin und mystische Weltsicht zu einem stillen Zeugnis einer vergangenen, aber keineswegs toten Epoche. Möge es Dich inspirieren, mit sehenden Augen durch die Geschichte zu gehen.

Fiat Lux
Ralph von Reichenberg GM