Zwischen Befreiung und Besetzung
Der 8. Mai in deutscher Erinnerung
Ein persönlicher und historischer Rückblick auf den Tag der „Befreiung“
Ein schwieriger Gedenktag
Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa. In der offiziellen Geschichtsschreibung ist dieser Tag heute oft als „Tag der Befreiung“ deklariert – als Ende der NS-Diktatur und Beginn eines neuen demokratischen Aufbruchs. Doch für viele Zeitzeugen und Überlebende – insbesondere in Deutschland und Österreich – war dieser Tag nicht nur ein Tag der Befreiung, sondern auch ein Tag des Zusammenbruchs, der Ohnmacht und der Angst vor dem, was nun kommen würde.
Befreiung – aber wovon und wie?
Zweifellos bedeutete das Ende des Nationalsozialismus das Ende eines beispiellosen Terrorregimes. Die Befreiung der Konzentrationslager, das Aufhören des Bombenkriegs, das Ende staatlich organisierter Massenmorde – all das sind historische Tatsachen. Doch diese „Befreiung“ kam nicht als sanfte Erlösung, sondern als militärische Niederlage, begleitet von Besetzung, Plünderung, Racheakten, Vergewaltigungen und Vertreibung.
Die Worte des damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman machen deutlich, wie man von alliierter Seite das Geschehen sah:
„Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat.“
Diese Sichtweise steht im Widerspruch zu der Vorstellung eines edlen „Befreiungsakts“ und spiegelt das tatsächliche Handeln vieler Besatzungstruppen wider – insbesondere in der sowjetisch besetzten Zone.
Persönliche Flucht und Erfahrung
Viele Deutsche – darunter auch meine eigene Familie – flohen vor den heranrückenden Truppen, insbesondere aus Angst vor den sowjetischen Streitkräften. Ich erinnere mich daran, wie ich mit meiner Mutter nach Tirol floh, in die französische Besatzungszone, um den ersten, wilden meist asiatisch geprägten Stoßtruppen der Roten Armee zu entkommen. Die Angst vor Gewalt, Willkür und Verlust war real. Auch die Franzosen waren keine Heiligen – aber die Übergriffe durch russische Einheiten in Ostdeutschland waren vielerorts brutal und menschenverachtend.
Später lebte ich in einer sowjetisch besetzten Zone. Dort herrschte nicht das Gefühl der Befreiung, sondern das einer neuen Diktatur. Meinungsfreiheit, Eigentum, Würde – all das stand erneut unter Zwang und Kontrolle. Wer sich nicht anpasste, wurde ausgegrenzt, verhaftet oder schlimmer. Die sowjetische Militäradministration baute mit der SED einen neuen Machtapparat auf – diesmal rot statt braun, aber nicht weniger dogmatisch.
Der doppelte Boden des 8. Mai
Der 8. Mai war zweifellos ein historischer Wendepunkt. Für die Opfer des NS-Regimes bedeutete er das ersehnte Ende der Unterdrückung. Für viele Deutsche und Österreicher jedoch war es nicht der Beginn von Freiheit, sondern von Entwurzelung, Angst und Fremdherrschaft.
Gerade die Generation, die das als Jugendliche oder Kinder erlebte, trug diese Eindrücke ein Leben lang mit sich. „Frei“ wurde man nicht durch das Herannahen von Panzern, sondern durch den langen, schwierigen Aufbau einer neuen, demokratischen Ordnung – und dieser begann vielerorts nicht am 8. Mai, sondern erst Jahre später.
Fazit: Befreiung oder Niederlage – oder beides?
Der 8. Mai bleibt ein Tag mit zwei Gesichtern. Er ist der Zusammenbruch eines verbrecherischen Systems, aber auch der Beginn neuen Leids für viele Menschen. Vielleicht ist es an der Zeit, diesen Tag nicht nur einseitig zu deuten, sondern ihn als das zu begreifen, was er war: ein Wendepunkt, an dem Dunkel und Licht, Hoffnung und Angst, Schuld und Zukunft nebeneinanderstanden.
Das Gedenken daran sollte ehrlich, vielstimmig und historisch differenziert sein – gerade im Angesicht heutiger weltpolitischer Entwicklungen, in denen Begriffe wie „Befreiung“ wieder politisch aufgeladen und missbraucht werden.