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✠ Die Redlichkeit im Mittelalter

Das Mittelalter kannte überwiegend eine moralisch gerechtfertigte
Ethik. Die Redlichkeit des Mittelalters war theologisch dominiert.
Redlich war derjenige, der sich gottgefällig verhielt, was immer das
auch sein konnte. Die Klöster hatten sich von der Völkerwanderung
recht unbeeindruckt gezeigt und ihre Auffassung von Redlichkeit
in das Mittelalter hineingetragen. Den Klöstern gelang es, das, was
unter Konstantin Anfang des 4.Jahrhunderts in das Christentum
eingebracht worden war, die Lehren der Manichäer, in das Mittelalter
hinüberzuretten. Beim Manichäismus handelt es sich um eine
Religion, die auf den Perser Mani ( 212 – 276 ) zurückgeht und nach
ihm benannt wurde. Er verband in seiner Religion die christliche
Gnosis, den Buddhismus und den Parsismus miteinander. Gnostizismus
– von griechisch gnosis, »(Gottes-)Erkenntnis« – war eine
religiös-philosophische Bewegung im 2. und 3. Jahrhundert. Nach
deren Lehre fielen Funken oder Samen des göttlichen Wesens in die
materielle böse Welt. Ziel des Gläubigen war die Erlösung hin zu
einem Dasein im Licht . Die manichäistische Welt war geteilt in absolut
Gutes und absolut Böses. Die Manichäer selbst teilten sich in
zwei Klassen auf, die nach dem Grad ihrer spirituellen Entwicklung
bestimmt wurden. Die Klasse der Auserwählten lebte streng zölibatär
und vegetarisch. Sie tranken keinen Alkohol, arbeiteten nicht
und widmeten sich ausschliesslich dem Gebet. Alles Fleischliche war
für die Manichäer ein Werk des Bösen. Die Ablehnung des Verzehrs
von Fleisch und sogar von Eiern, weil diese der Vereinigung von
männlichen und weiblichen Tieren entstammten, zeichneten den
Puritanismus aus. Die zweite Klasse, die der Laien, erreichte diese
Stufe der Vollkommenheit nicht.

So ist verständlich, dass die Redlichkeit des Mittelalters aus dem
zölibatären Verständnis der ersten Klasse der Manichäer beispielsweise
ein bestimmtes Sexualverhalten predigte. Nach manichäistischer
Überzeugung war die Ehelosigkeit der Ehe vorzuziehen. Die
Ehe war für sie nichts anderes als eine erlaubte Form der Sünde.
Schon bei Paulus findet sich der Gedanke, dass Gott den Menschen
nur ihrer Schwäche wegen das Heiraten nicht verbot. Auf den Ma –
nichäismus geht z um Beispiel auch das Weihnachtsfest zurück. Der
berühmte lateinische Kirchenlehrer Augustinus ( 354 – 430 ) war übrigens
rund neun Jahre lang Manichäer, bevor er Christ wurde.

Des Weiteren war die Redlichkeit des Mittelalters durch die Vorstellungen
von Sünde und der Hölle bestimmt. Auch das ist vor dem
Hintergrund des Manichäismus zu erklären, der die Askese und die
Teilung der Welt in absolut böse und absolut gut vornahm. Die Redlichkeit
richtete sich nach einem strafenden Gott aus, von dem man
glaubte, dass er jedes gute Werk und jede Sünde notiere. Die Lehre
von den beiden Gerichten, dem persönlichen und dem allgemeinen
Gericht, spielte eine Rolle. Es entstand eine durchaus negative Sicht
des Lebens, zu der eine positive Sicht des Leidens hinzukam. So entstand
die Verehrung des Kreuzes und die Moral wurde zunehmend
dogmatischer. Und damit wurde die Redlichkeit moralisch-dogmatisch.

Eine weitere geschichtliche Quelle, um die Redlichkeit des Mittelalters
beschreiben zu können, war sicher das Rittertum. Da Ritter
unter dem Einfluss der Ethik des Christentums kämpften, ist in
ihrem Verhalten die »weltliche« Ausprägung der Redlichkeit dieser
Zeit recht gut zu ermitteln. Das Rittertum erreichte seine Blütezeit
während der Kreuzzüge. Hier hilft der »Ehrenkodex« der Ritter
weiter, in den jeder Ritter eingebunden war und dessen Redlichkeit
durch Zucht und Masshalten gekennzeichnet war. Ein Ritter war
dann redlich und anerkannt, wenn er seinen Gegner respektierte,
Loyalität zeigte, grosszügig war, eine adlige Verhaltenweise an den
Tag legte, sich als tapfer erwies, christliche Tugenden pflegte und
über einen Ehren- und Verhaltenskodex verfügte, an den er sich
auch hielt. Besonders gut ist die Redlichkeit des Mittelalters im Turnierverhalten
der Ritter zu erkennen. Ein Ritter handelte im Turnier
nur dann redlich, wenn er die Erniedrigung des Gegners vermied.

Das Besondere der Redlichkeit des Mittelalters lag vornehmlich
darin, dass die Redlichkeit ideologisch begründet war. Der Kampf
mit den Türken (Kreuzzüge) war sicher kein Kampf zwischen Staaten,
sondern ein Kampf zwischen Muslimen und Christen, ein
Kampf zwischen Ideologien.

In der Ökonomie des Mittelalters galten die theologisch begründeten
Formen der Ökonomie und Politik. Diese waren begründet
im religiösen, sozialen oder auch politischen Verhalten. Die Redlichkeit
war auch bestimmt durch frühe Formen des religiösen
Feudalismus und frühe Formen des Merkantilismus. Das damalige
ständische Denken wurde ebenfalls religiös motiviert: »Ich bin
Bauer, Müller, Adliger v on Gottes Gnaden.« Die Menschen verhielten
sich redlich, um nicht religiös, politisch oder sozial bestraft zu
werden. Massstab für die Redlichkeit waren also Gottgefälligkeit
und Sozialverträglichkeit.

Nach dem religiösen Feudalismus wurde die Redlichkeit des Mittelalters
später durch Genese gerechtfertigt. Mit Genese wird im
Griechischen die Zeugung, Entstehung, Entwicklung eines Zustandes,
aber auch die Ursache einer Krankheit bezeichnet. Im Begriff
»Gene« oder »Gentechnologie« verwenden wir die ursprüngliche
Bedeutung heute.

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