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Darum sollten wir über Klimaangst sprechen

In der Wissenschaft ist „Klimaangst“ längst ein eigener Forschungsbereich. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass das Phänomen tatsächlich weit verbreitet ist und in den vergangenen Jahren zugenommen hat.
Die Folgen der Klimakrise für die Psyche wurden 2022 sogar erstmals im Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erwähnt. Und zwar nicht nur durch das direkte Erleben von zum Beispiel extremen Wetterereignissen, sondern auch durch die Sorge, dass solche Ereignisse auftreten könnten. Laut IPCC-Bericht sei davon auszugehen, dass diese Angst in Zukunft zunimmt.

Die drei größten Sorgen
„Vor allem 16- bis 25-Jährige verspüren Ängste“, sagt Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. In der Sinus-Jugendstudie 2021 gaben knapp 40 Prozent der Befragten an, große Angst vor der Klimakrise zu verspüren. Ihre drei größten Sorgen in diesem Kontext sind laut der Studie, dass extreme Wetterereignisse zunehmen, dass der Lebensraum von Tier und Mensch verloren geht und dass die Pole abschmelzen.

Auch die internationale Studie von der University of Bath im Vereinigten Königreich zeigt die Bedeutung von „Klimaangst“ unter jungen Menschen. 60 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus zehn Ländern gaben an, besorgt über die Klimakrise zu sein. 45 Prozent gaben sogar an, diese Sorgen würden ihren Alltag bestimmen.

Dass Jugendliche besonders betroffen sind, liegt Forschenden zufolge einerseits daran, dass sie wegen ihres jungen Alters besonders betroffen von den Folgen der Klimakrise sein werden.

„Andererseits lernen Kinder und Jugendliche erst noch, mit Emotionen umzugehen“, erklären Lea Dohm und Mareike Schulze, Psychotherapeutinnen und Gründerinnen der Organisation „Psychologists/Psychotherapists for Future“. Diese unterstützt die Umweltbewegung “Fridays for Future” und hat das Ziel, den Umgang mit der Klimakrise mithilfe von psychologischem Fachwissen zu verbessern. Ihre Erfahrung ist: „Junge Menschen sind daher besonders gefährdet.“

Der Begriff Klimaangst ist problematisch
Und nun? Müssen betroffene Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre Ängste behandeln lassen? Nein, müssen sie nicht – und in dieser Antwort liegt auch einer der größten Kritikpunkte am Begriff Klimaangst.
Klimaangst ist keine psychische Erkrankung. „Das Wort impliziert, dass es eine eigene Krankheit ist“, sagt Umweltpsychologe Reese. „Das ist es aber nicht. Bei Klimaangst handelt es sich zunächst um eine nachvollziehbare Reaktion auf ein reales Problem – die Klimakrise“, so der Forscher.

Er macht den Unterschied deutlich, indem er die Spinnenphobie gegenüberstellt: „Menschen mit einer Spinnenphobie haben Angst vor Spinnen, obwohl sie ihnen – zumindest in unseren Breitengraden – nichts antun können. Diese Angst ist also eher irrational und lässt sich therapieren, zum Beispiel durch Konfrontation“, so Reese. „Bei Klimaangst ist es anders. Hier ist die Angst berechtigt.“ Sie muss und kann auch gar nicht therapiert werden.

Begriff lenkt vom eigentlichen Problem ab
Würden wir Klimaangst in die Kategorie Krankheiten einordnen, käme es zu einer gefährlichen Pathologisierung: „Das würde den Anschein machen, dass wir lediglich die Angst-Symptome behandeln müssen und das Problem dann beseitigt ist“, sagt Psychotherapeutin Schulze. „Das ist es aber nicht, denn die Klimakrise existiert weiterhin.“

Der Begriff Klimaangst steht auch wegen seiner falschen Individualisierung in der Kritik. Denn er suggeriert, dass es sich um ein Problem einer einzelnen Person handelt. Stattdessen ist der Auslöser – die Klimakrise – ein globales Problem, das Auswirkungen auf alle Menschen hat und haben wird. Und das sich nur gemeinschaftlich und international lösen lässt.

Normale und gesunde Reaktion
Noch dazu klammert der Begriff viele weitere Gefühle wie Scham, Schuld, Wut, Ärger oder Trauer aus, die die Klimakrise ebenfalls hervorrufen kann. „Die emotionalen Reaktionen sind bei Weitem nicht auf die Angst beschränkt. Dennoch scheint die Klimaangst inzwischen zum Star unter den Klimagefühlen geworden zu sein“, schreiben Dohm und Schulze in ihrem gemeinsamen Buch „Klimagefühle: Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln“.

All diese Gefühle aber seien laut den Psychotherapeutinnen normale, gesunde – und im Sinne des Klimaschutzes auch notwendige Reaktionen. Denn nur wer Angst oder Wut am eigenen Leibe erfährt, schätzt die Klimakrise als dringend und handlungsbedürftig ein. Und kann im nächsten Schritt etwas dagegen tun.

Und jetzt?
Wie du einen guten Umgang mit deinen Sorgen findest
Wenn du Sorgen, Wut, Frust oder Verzweiflung über die Klimakrise verspürst, helfen Forschenden zufolge vor allem zwei Dinge.
Verbündete suchen und aktiv werden
Zunächst solltest du dir deine Gefühle eingestehen, sie ernst nehmen und sie anderen mitteilen. „Mit anderen ins Gespräch zu kommen, ist ein ganz wichtiger Punkt“, sagt Umweltpsychologe Reese. „Wenn wir unsere Gefühle über die Klimakrise mit anderen teilen, werden wir schnell merken: Wir sind nicht allein, viele haben Sorgen“, so der Experte. „Das kann unglaublich entlastend sein.“

Austausch lässt sich zum Beispiel direkt im Freundes- und Bekanntenkreis oder in entsprechenden Gruppen in den sozialen Medien finden. Es gibt auch sogenannte Klima-Cafés, in denen man sich mit anderen austauschen kann.

Der zweite Punkt: Sorgen um die Klimakrise können als Motivation dienen, um sich für Klimaschutz zu engagieren. „Je stärker die Klimaangst, desto stärker die Handlungsmotivation“, sagt Umweltpsychologe Reese. Diese Korrelation haben verschiedene Untersuchungen gezeigt.

„Situationen, in denen wir Angst haben, können uns einen ganz besonderen Motivationsschub geben“, erklärt Psychotherapeutin Schulze. Das ist evolutionär bedingt: Erblickten unsere Vorfahren einen Säbelzahntiger, schoss das Stresshormon Adrenalin in die Höhe und sie waren bereit zu Kampf oder Flucht. So lässt sich die Angst kanalisieren in Aktion, in diesem Fall in den Klimaschutz.

Die Forschung zeigt, ganz unabhängig vom Klimakontext: Wer mit anderen aktiv wird, kann Angst, Trauer und Wut durch das Gefühl von Selbstwirksamkeit ersetzen. Sogar Emotionen wie Hoffnung und Freude können dabei aufkommen.

Pausen einlegen und die richtige Balance finden
Gleichzeitig ist es wichtig, beim Engagement die richtige Balance zu finden. Die Aktivitäten sollten nicht in Zwang oder extremen Stress ausarten. „Jeder kann versuchen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv zu werden“, sagt Umweltpsychologe Reese. Wo die eigene Grenze liegt, sei sehr individuell.

Bis die richtige Balance gefunden ist, bedarf es etwas Zeit und Geduld. Denn Gefühle wie Angst, Wut und Trauer kommen und gehen in Wellen, oftmals unverhofft und überwältigend. Doch wer es schafft, seine Emotionen wahrzunehmen, anzunehmen und in Handlungen zu übersetzen, erlangt laut Forschenden auf lange Sicht Resilienz. Das bewirkt, dass Menschen nicht nur mit gegenwärtigen, sondern auch mit zukünftigen Sorgen um die Klimakrise besser umgehen können.

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