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Finanzhai im Kirchenstaat

Ironie der Geschichte: Kaum hatte der Vatikan in der vergangenen Woche das Motu proprio von Papst Franziskus über die Transparenz und Zentralisierung der Ausgabenpolitik aller kurialen Behörden veröffentlicht, holten die Schatten unsauberer Geschäfte in der Vergangenheit ausgerechnet das vatikanische Staatssekretariat ein, die zentrale Behörde im Herzen des kleinen Kirchenstaats. Die Nachricht von der Verhaftung des italienischen Investment-Brokers Gianluigi Torzi durch die Gendarmerie des Vatikans spülte die seit Oktober vergangenen Jahres kursierenden Nachrichten über jene Immobilie in der Londoner Sloane Avenue wieder nach oben, die das Staatssekretariat vor Jahren erworben hatte, um eigene Gelder gewinnbringend anzulegen. Torzi war am vergangenen Freitag in Begleitung seiner Anwälte vor dem leitenden Staatsanwalt des Vatikangerichts, dem „Promotore di Giustizia“ Gian Piero Milano, und dessen Stellvertreter Alessandro Diddi zur Vernehmung in Sachen der Londoner Immobilie erschienen, als ihm am Ende ein Haftbefehl vorgelegt wurde. Die Anklage: Veruntreuung, schwerwiegender Betrug, Geldwäsche und vor allem Erpressung. Die Vatikanpolizei, so hieß es in der trockenen Mitteilung des vatikanischen Presseamts, verbrachte Torzi „in geeignete Räumlichkeiten der Kaserne der Gendarmerie“.

Die Informationspolitik des Vatikans ist zurückhaltend
Die Informationspolitik des Vatikans in dieser Angelegenheit ist gelinde gesagt sehr zurückhaltend, denn sie berührt die obersten Etagen im vatikanischen Staatssekretariat, vor allem die Nummer zwei, den Substituten und Leiter der Sektion für die internen Angelegenheiten, was bis 2018 der dann zum Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen und Kardinal beförderte Angelo Becciu war, worauf ihm der venezuelanische Erzbischof und Vatikandiplomat Edgar Peña Parra in diesem Amt folgte. Recht ausführlich hat jetzt der auf den Vatikan spezialisierte Online-Dienst „Vatican Insider“ berichtet, den der heutige Chefredakteur aller Vatikan-Medien, Andrea Tornielli, vor Jahren für die Turiner Tageszeitung „La Stampa“ aufgebaut hat.

Es ist nicht das erste Mal, dass „Vatican Insider“ über diesen Kanal exklusiv auf Insider-Informationen zugreifen kann, ohne allerdings ein inoffizielles Sprachrohr des Vatikans zu sein. Dem Online-Dienst zufolge kam der Investment-Broker Torzi nach dem Wechsel von Becciu zu Peña Parra im Staatssekretariat ins Spiel, als der neue Substitut erkannte, dass die Londoner Immobilie keine Rendite abwerfen, sondern nur weitere Kosten erbringen würde, da sie mit einer hohen Hypothek belastet war. Für den Vatikan erworben hatte der ehemalige Substitut Becciu Anteile an dem luxuriösen Objekt im Jahr 2013, indem er sich mit zweihundert Millionen Dollar beim Athena-Fonds des Vermögensverwalters Raffaele Mincione einkaufte, dem die Immobilie gehörte.

Der Finanzhai Torzi spielte dem Staatssekretariat übel mit
Als sich angesichts des drohenden Brexits die Anteile beim Athena-Fonds nicht mehr bezahlt machten, entschloss sich der neue Substitut Peña Parra im Herbst 2018, die Immobilie ganz zu übernehmen – mit Hilfe des weitgehend unbekannten Finanzhais Torzi, der dem Staatssekretariat aber übel mitspielte: Das Staatssekretariat investierte weitere 150 Millionen, Torzi trat in Verhandlungen mit Mincione, erwarb dessen Anteile für das Staatssekretariat, versah aber einen Teil der Aktien mit einer Sperrminoriät und gewann so die Kontrolle über die Immobilie, für die er sich dann teuer bezahlen ließ: Im Mai 2019 flossen 15 Millionen Euro vom Staatssekretariat an Torzi „für nicht existierende Dienstleistungen“, wie es jetzt im Vatikan heißt. Das war dann der Grund dafür, dass im Oktober vergangenen Jahres das Staatssekretariat und die vatikanische Finanzaufsichtsbehörde AIF zum Gegenstand einer Razzia durch die Vatikan-Gendarmerie wurden – und man nun auch dem Broker Torzi den Prozess machen will.

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