Templer - Blog

Ist Glaube weniger wert als Wissen?

So mancher hält das für selbstverständlich. Man erlaube mir ein paar Worte der Erläuterung.

Zum Beispiel kann jemand Angst vor dem Feuer haben und
glauben, dass er sich, wenn er seine Hand in die Flammen hält, verbrennen
und Schmerzen haben wird. Er mag den Glauben hegen,
dass dies die Wahrheit ist, aber erst wenn er die Hand tatsächlich
in die Flammen hält und sich Brandwunden zuzieht, weißer wirklich,
wie sich der Verbrennungsschmerz anfühlt.
Ein solches Wissen stammt aus der Erfahrung. Dieses Erfahrungswissen – das sich
etwa von dem theoretischen Wissen unterscheidet, dass zwei plus
zwei vier ist – heißt im Griechischen gnosis. Entsprechend nannten
sich die mystischen Gruppen innerhalb des Christentums, die Gott
selbst erfahren wollten, »Gnostiker«. Wann sich dieses Bedürfnis innerhalb
des Christentums entwickelte, ist ungewiss, aber ein mystischer
Ansatz, der sich auf die intensive persönliche Erfahrung stützt,
existierte seit langem in den heidnischen Religionen. Im 2. Jahrhundert
n.Chr. verbreitete er sich sehr rasch auch in der christlichen
Kirche.

Trotz der Komplexität eines großen Teils ihrer Literatur waren
die Gnostiker weniger an Tatsachen über Jesus und Gott oder an
Abhandlungen über den Glauben in den verschiedenen Schriften
und Erinnerungen interessiert als daran, direkt und persönlich zu
erfahren, wer oder was Gott ist. Der Glaube an die Worte Jesu
berührte sie weniger als der Versuch, durch das Wissen um Gott
so zu werden wie er. Beispielsweise heißt es in einem der bei Nag
Hammadi gefundenen Texte, dem Evangelium des Thomas: »Wenn
ihr euch erkennen werdet, dann werdet ihr erkannt, und ihr werdet
wissen, dass ihr die Söhne des lebendigen Gottes seid.«

Man kann nicht stark genug betonen, dass die Auswahl des Ma
terials zur Bekräftigung eines der zahlreichen Standpunkte mithilfe
von theologischen Kriterien erfolgte. Jemand oder eine Gruppe
setzte sich hin und entschied, dass ein Buch – aus ihrer Perspektive
und nach ihrem Verständnis – »wahr« (oder »rechtgläubig«) und
ein anderes »falsch« (oder »ketzerisch«) sei. Trotz aller Berufungen
auf den göttlichen Ratschluss lassen sich die getroffenen Entscheidungen
natürlich nicht automatisch rechtfertigen. Es handelt sich
um sehr menschliche Entscheidungen, die auf sehr menschlichen
Prioritäten beruhen, wobei es meist um Kontrolle und Macht geht.’
Professor Helmut Koester schreibt: »… in der frühesten Periode des
Christentums sind die Epitheta >ketzerisch< und >orthodox< bedeutungslos.« Noch unsinniger ist die Vorstellung, dass die Bücher in unserem Neuen Testament die einzig authentischen Überlieferungen zu Jesus darstellen. Dazu meint Professor Koester unverblümt: »Nur aufgrund von dogmatischen Vorurteilen kann man behaupten, dass die kanonischen Schriften einen exklusiven Anspruch auf eine apostolische Herkunft und damit auf die historische Priorität hätten.« Tatsächlich wurde unser Neues Testament erst durch die Konzile von Hippo und Karthago in den Jahren 393 und 397 - mehr als 360 Jahre oder 15 Generationen* nach den Ereignissen, auf die sie sich beziehen - festgelegt. * In der Genealogie wird die Länge einer Generation (25 Jahre) hauptsächlich als Prüfung der Glaubhaftigkeit eines Beweises genutzt: Eine zu lange Zeitspanne zwischen Eltern und Kind, vor allem in der mütterlichen Linie, war ein Grund, um einen Schritt zurückzutreten und noch einmal zu untersuchen, ob die gefundenen Fakten wirklich der Realität entsprechen.

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