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Rabbi, Meister oder Sohn Gottes?

Warum wurde eigentlich der Titel »Rabbi« durch den wenig aussagekräftigen
»Meister« ersetzt? Die Veränderung des Textes lässt
sich rekonstruieren: In der lateinischen Vulgata-Übersetzung
finden wir die Anrede »Magister«, in der älteren griechischen
Textausgabe heisst es »Diadaskalos«.

Die Zeitgenossen Jesu sprachen in der Regel weder Griechisch
noch Lateinisch, sondern Aramäisch. Freund wie Feind
redeten Jesus als »Rabbi« an, so wie es das Evangelium nach
Johannes festhält.

Jesus war ein Lehrer. Eine Trennung zwischen Schullehrer
und Prediger existierte damals gar nicht. In den jüdischen Gemeinden
haben dieselben Männer unterrichtet, die auch das
Wort Gottes in den Synagogen predigten: die Rabbis.
Warum aber ist dieser offensichtlich ehrerbietige Titel in unseren
Bibelübersetzungen weitgehend verschwunden? Eine
Vermutung liegt nahe: Ein jüdischer Rabbi musste verheiratet
sein. Selbst Bischof Christoph Köhler, einer der führenden
Köpfe der Evangelischen Kirche Deutschlands, musste eingestehen:
»Es stimmt jedoch: Normale Rabbiner und normale
Männer hatten im Judentum die Pflicht zu heiraten.« (Interview
mit »Spiegel online«, 24. Mai 2006)

Da Jesus sowohl ein normaler Mann als auch ein normaler
Rabbiner war, muss er wohl verheiratet gewesen sein. Dieser
Sachverhalt jedoch missfiel den Bearbeitern des Neuen Testaments.
Sie bevorzugten den unverheirateten Jesus, der möglichst
jeden Kontakt zum anderen Geschlecht vermied.

Sollte sich die Auffassung verbreiten, dass Jesus verheiratet
war, gerät vor allem die katholische Kirche in Argumentationsschwierigkeiten.
Dann nämlich liesse sich die erzwungene
Ehelosigkeit katholischer Priester beim besten Willen nicht
mehr rechtfertigen. Denn wie wollte man noch die Ehelosigkeit
von katholischen Priestern begründen, wenn Jesus selbst
verheiratet gewesen wäre?

Für ihre dogmatische Sturheit wird die katholische Kirche
auch von kirchennahen Menschen kritisiert, die sich intensiv
mit den Aussagen der Bibel auseinandersetzen. So erklärte Tobias
Raschke von »Wir sind Kirche« im Interview mit dem
Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF-heute.de, 8. Juni 2006):
»Jesus war Jude und deshalb glaube ich zum Beispiel, dass Jesus
verheiratet war. Er war Rabbiner und bis heute sind alle
Rabbiner verheiratet. Wenn sie es nicht wären, würde das als
grosser Makel angesehen werden. Der Umkehrschluss des Vatikans,
dass Jesus nicht verheiratet war, nur weil darüber nichts
steht, der ist falsch. Ich glaube, wir haben uns schon sehr weit
von Jesus entfernt.«
In der Tat wäre Jesus als unverheirateter Rabbiner eine
grosse Ausnahme gewesen, die sicherlich irgendwo Erwähnung
gefunden hätte. Die Tatsache, dass in den Evangelien nicht
explizit auf Jesu Ehelosigkeit hingewiesen wird, deutet eher
daraufhin, dass Jesus der Norm entsprach und als Rabbiner
verheiratet war.

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