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Die Verhöre in Chinon (17.–20. August 1308)

Die Verhöre in Chinon stellen einen zentralen Wendepunkt im Templerprozess dar. Zwischen dem 17. und 20. August 1308 wurden die fünf höchsten Würdenträger des Templerordens von drei Kardinälen verhört. Dieses Ereignis zeigt deutlich das Dilemma von Papst Clemens V., der zwischen der Wahrung seiner Autorität und dem Druck von König Philipp IV. von Frankreich gefangen war.

1. Die Hintergründe der Verhöre

Obwohl Chinon nur unweit von Poitiers lag, entschied sich Papst Clemens V. gegen eine persönliche Teilnahme an den Verhören. Stattdessen entsandte er drei Kardinäle:

  • Berengar Frédol
  • Stephan von Suisy
  • Landolf Brancacci

Diese Kardinäle galten als dem französischen König nahestehend, was bereits ein ungleiches Machtverhältnis in den Verhandlungen andeutete. Gleichzeitig waren die königlichen Ratgeber Wilhelm von Nogaret und Wilhelm von Plaisians sowie der Gefängnisaufseher der Templer, Johann von Janville, anwesend, um sicherzustellen, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt wurden.

2. Die Verhöre der Würdenträger

2.1 Hugo von Pairaud (19. August 1308)

Hugo von Pairaud, einer der einflussreichsten Männer des Templerordens, wurde am 19. August 1308 unter Eid verhört.

  • Er berichtete von seiner Aufnahme in den Orden vor 46 Jahren in Lyon.
  • Ihm sei befohlen worden, das Kreuz zu verleugnen, was er widerwillig getan habe, aus Angst vor Strafen.
  • Er habe das Kreuz nicht bespuckt und seine Aufnahmerituale eher symbolisch vollzogen.
  • Er bestätigte, dass bei Aufnahmen in den Orden Küsse auf das Rückgrat, den Bauchnabel und den Mund gefordert wurden.
  • Er bestritt jedoch, jemals von Sodomie gehört oder sie begangen zu haben.
  • Er erklärte, dass die Rituale im Geheimen durchgeführt wurden und er nicht garantieren könne, dass überall dieselben Praktiken Anwendung fanden.
  • Zum Schluss bekannte er sich schuldig, betonte aber, dass er die Rituale „mit dem Mund, nicht mit dem Herzen“ durchgeführt habe.
  • Er erhielt von den Kardinälen die kirchliche Absolution und wurde in die Gemeinschaft der Kirche wieder aufgenommen.

2.2 Jakob von Molay (20. August 1308)

Der Großmeister der Templer, Jakob von Molay, wurde am 20. August 1308 verhört.

  • Er schilderte seine Aufnahme durch Hubert von Pairaud in Autun, etwa 42 Jahre zuvor.
  • Auch er gestand, das Kreuz verleugnet und daneben gespuckt zu haben, jedoch nicht mit dem Herzen, sondern nur mit dem Mund.
  • Er betonte, dass er nichts von Sodomie, dem Götzenbild oder von unerlaubten Küssen wisse.
  • Auch er erhielt die Absolution und wurde in die Gemeinschaft der Kirche wieder aufgenommen.

3. Die Absolution und ihre Bedeutung

Nach den Verhören wurden die fünf Würdenträger von den Kardinälen absolviert und wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. Diese Absolution war kein Freispruch im rechtlichen Sinne, sondern lediglich die Vergebung für die gestandenen Sünden.

  • Die Kardinäle folgten dabei einem damals üblichen Vorgehen: Die Absolution wurde gewährt, wenn die Beschuldigten unter Eid ihre Sünden gestanden und Reue gezeigt hatten.
  • Das Chinon-Pergament, ein Dokument, das die Verhöre und Absolutionen festhält, wurde erst 2001 wiederentdeckt und löste eine Kontroverse aus. Einige Historiker werteten die Absolution als Beweis für die Unschuld der Templer, doch dies ist eine Fehlinterpretation.
  • Papst Clemens V. schrieb später: „Der Meister und die Brüder haben die Ordensprinzipien verletzt, einige von ihnen mehr, einige weniger.“

4. Politische Folgen der Verhöre

Nach den Verhören ließ Philipp IV. die Ergebnisse als Bestätigung seiner Anklagen darstellen. In einem Brief an Jakob II. von Aragon schrieb er begeistert, dass „mehr als sechzig hochrangige Templer die Verbrechen gestanden haben.“

4.1 Die Rückkehr nach Corbeil

Nach den Verhören wurden die fünf Würdenträger nach Corbeil gebracht und dort inhaftiert. Eine endgültige Lösung war jedoch noch nicht in Sicht, da der Papst nach wie vor zögerte, den Orden vollständig aufzulösen.

5. Warum widerriefen die Würdenträger ihre Geständnisse nicht?

Eine der zentralen Fragen bleibt, warum Jakob von Molay und Hugo von Pairaud bei ihren ursprünglichen Geständnissen blieben, obwohl sie bereits im Dezember 1307 in Paris ihre Aussagen widerrufen hatten.

  • Möglicherweise hatten sie erkannt, dass ein Widerruf ihre Lage nur noch verschlechtern würde.
  • Vielleicht hofften sie auf eine endgültige päpstliche Absolution, die den gesamten Orden retten könnte.
  • Eventuell hatten sie aber auch die Hoffnung verloren, dass der Papst in der Lage sein würde, sie vor Philipp IV. zu schützen.

6. Fazit: Die Verhöre von Chinon als Wendepunkt

Die Verhöre von Chinon waren ein entscheidender Schritt in der Zerschlagung des Templerordens.

  • Die Würdenträger hatten unter Eid Aussagen gemacht, die schwerwiegende Vorwürfe gegen den Orden bestätigten.
  • Philipp IV. nutzte die Geständnisse für seine Propaganda und als Beweis für die Schuld des Ordens.
  • Papst Clemens V. stand weiterhin zwischen den Interessen des Königs und der Wahrung seiner eigenen Autorität.

Die Absolution der Würdenträger war letztlich kein Akt der Gnade, sondern ein Mittel zur Stabilisierung der kirchlichen Kontrolle über das Verfahren. Sie konnte jedoch den Untergang des Ordens nicht aufhalten. Der Verlauf der Verhöre von Chinon zeigte, wie tief die Kluft zwischen kirchlicher und königlicher Macht bereits war und wie sehr der Ausgang des Prozesses bereits vorgezeichnet war.

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