Heute ist Sonntag…
… und wir haben ein bisschen mehr Zeit über „Gott und die Welt“ nachzudenken.
Die römisch-katholische Kirche sieht sich sowie hunderte andere christlichen Kirchen grundsätzlich als Hüterin und Weiterführerin der Lehre Jesu. Dennoch gibt es immer wieder Kritik, dass bestimmte Aussagen Jesu im Laufe der Kirchengeschichte vernachlässigt, uminterpretiert oder sogar verletzt wurden – sowohl durch strukturelle Entwicklungen als auch durch das Verhalten einzelner Vertreter oder Institutionen der Kirche.
Hier einige Beispiele, die häufig in der kirchenkritischen Diskussion genannt werden:
1. Reichtum und Machtstreben vs. Jesu Ideal der Armut
Jesus sagte:
„Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21)
„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24)
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Kritikpunkt: Die katholische Kirche besitzt erhebliche Reichtümer (z. B. Immobilien, Kunstschätze, Vatikanbank). Auch in der Geschichte war sie eng mit weltlicher Macht verbunden (z. B. Papsttum als politische Großmacht im Mittelalter).
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Verstoß: Viele sehen darin einen Widerspruch zum Ideal der Armut und Demut, das Jesus seinen Jüngern geboten hat.
2. Gewaltfreiheit vs. Kreuzzüge, Inquisition und Zwangsbekehrung
Jesus sagte:
„Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52)
„Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,44)
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Kritikpunkt: Die Kreuzzüge, Zwangsmissionierungen, Hexenverfolgungen und Inquisition widersprechen dem pazifistischen Geist der Bergpredigt.
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Verstoß: Jesus lehrte radikale Gewaltlosigkeit – die Kirche hat jedoch in ihrer Geschichte oft Gewalt legitimiert oder selbst ausgeübt.
3. Demut und Dienerschaft vs. Hierarchie und Prunk
Jesus sagte:
„Der Größte unter euch soll euer Diener sein“ (Mt 23,11)
„Nennt niemand auf Erden euren Vater; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel“ (Mt 23,9)
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Kritikpunkt: Der Papst wird als „Heiliger Vater“ angeredet und steht an der Spitze einer stark hierarchischen Struktur. Auch Prunk und Titulaturen (z. B. Eminenz, Exzellenz) widersprechen Jesu Worten.
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Verstoß: Jesu Ideal einer dienenden Gemeinschaft wurde in eine monarchische Kirchenstruktur mit weltlichen Machtformen überführt.
4. Transparenz und Wahrheit vs. Vertuschung von Missbrauch
Jesus sagte:
„Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird“ (Lk 8,17)
„Weh euch, ihr Heuchler!“ (Mt 23)
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Kritikpunkt: Die Vertuschung sexueller Gewalt durch Kleriker über Jahrzehnte, teils mit systematischer Verheimlichung durch Kirchenobere.
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Verstoß: Statt der Wahrheit ins Licht zu helfen, wurde das Gegenteil praktiziert – aus Angst vor Imageschäden oder Machtverlust.
5. Gleichwertigkeit aller Menschen vs. Ausschlüsse und Diskriminierung
Jesus sagte:
„Da ist weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau – denn ihr alle seid einer in Christus“ (Gal 3,28 überliefert durch Paulus)
„Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht“ (Mk 10,14)
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Kritikpunkt: Frauen sind vom priesterlichen Amt ausgeschlossen. Geschiedene Wiederverheiratete und Homosexuelle werden (teilweise) ausgegrenzt.
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Verstoß: Viele empfinden diese Praxis als nicht mit dem Geist Jesu vereinbar, der Menschen ohne Ansehen der Person begegnete.
6. Jesu Warnung vor Heuchelei und religiösem Machtgehabe
Jesus sagte:
„Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Denn ihr belastet die Menschen mit schweren Lasten, die ihr selbst nicht tragt“ (Mt 23,4).
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Kritikpunkt: Immer wieder wurde der Kirche vorgeworfen, moralische Forderungen aufzustellen, die sie selbst nicht lebt – etwa beim Umgang mit Sexualität, Armut oder Macht.
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Beispiel: Der Umgang mit Skandalen (z. B. Missbrauch), während gleichzeitig strenge Sexualmoral gepredigt wird, wird als Pharisäertum empfunden.
7. Jesu Nähe zu Sündern, Ausgegrenzten und Armen
Jesus sagte:
„Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mt 9,13).
„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40).
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Kritikpunkt: Die Kirche war (und ist) oft eine Institution, die eher Eliten anspricht als Außenseiter, sich häufig mit der politischen Macht verbündet und gesellschaftliche Hierarchien stützt.
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Beispiel: Arme, Obdachlose oder Randgruppen fühlten sich oft nicht willkommen in prunkvollen Kathedralen oder in kirchlichen Strukturen mit Zugangsbeschränkungen.
8. Jesu Ablehnung des Machtanspruchs
Jesus sagte:
„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken. Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein“ (Mt 20,25–26).
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Kritikpunkt: Die katholische Kirche entwickelte eine monarchisch-hierarchische Struktur, in der oft Macht, Kontrolle und Gehorsam wichtiger waren als Dienstbereitschaft.
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Beispiel: Der Papst als „Heiliger Vater“ mit absoluter Entscheidungsgewalt steht in Kontrast zum Ideal des „Dieners aller Diener“, das Jesus vorlebte.
9. Jesu Gebot der Einheit und Liebe
Jesus sagte:
„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35).
„Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21).
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Kritikpunkt: Die Spaltung der Christenheit (z. B. mit den Orthodoxen oder Protestanten), die Verfolgung Andersdenkender, Dogmenstreitigkeiten und Exkommunikationen widersprechen Jesu Wunsch nach Einheit und Liebe.
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Beispiel: Das lange Festhalten an der Verurteilung anderer Konfessionen als „irrig“ oder „minderwertig“ zeigt eine geistige Haltung der Exklusivität statt Geschwisterlichkeit.
10. Jesu Einfachheit im Gottesdienst
Jesus sagte (sinngemäß):
„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).
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Kritikpunkt: Der katholische Kult entwickelte sich zu einem hochsakralen, komplexen Ritualsystem, das oft Abgrenzung statt Offenheit fördert. Zugang zu Sakramenten ist an Bedingungen geknüpft, Laien sind weitgehend ausgeschlossen.
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Beispiel: In der frühen Kirche waren viele Feiern gemeinschaftlich, einfach und offen – heute erscheinen Liturgie und Amtsverständnis oft unverständlich und distanziert.
11. Jesu Ablehnung von religiösem Kommerz
Jesus tat:
Er trieb die Händler aus dem Tempel und sagte: „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“ (Joh 2,16).
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Kritikpunkt: Die Kirche hat über Jahrhunderte hinweg mit Ablässen, Reliquien, Pilgerreisen und Kirchensteuern Geld eingenommen – oft ohne echte geistliche Grundlage.
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Beispiel: Der Ablasshandel im Mittelalter, der auch zur Reformation führte, war ein offener Widerspruch zu Jesu Haltung gegenüber religiösem Kommerz.
Zusammenfassung:
Jesu Botschaft war einfach, radikal, menschenfreundlich und oft gesellschaftskritisch. Er stellte das Gewissen über das Gesetz, das Mitgefühl über die Vorschrift, die Liebe über die Dogmatik. Viele Strukturen und Traditionen der katholischen Kirche stehen in einem Spannungsverhältnis zu dieser Botschaft – teils aus geschichtlichen Entwicklungen, teils aus Machtinteressen.
Doch es gibt auch in der Kirche selbst Kräfte, die genau diese Diskrepanzen ansprechen – etwa Theologen, Ordensleute, Basisgemeinden oder Bewegungen wie die Befreiungstheologie. Der Ruf nach Reform, nach Rückkehr zu den Wurzeln des Evangeliums, ist keine Ablehnung der Kirche, sondern oft Ausdruck echter Treue zu Christus.