Lehrbrief GR 105

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Gott zum Gruße.
Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam.

Das Selbstverständnis der Templer

Der Templerorden, gegründet im frühen 12. Jahrhundert, verstand sich nicht nur als militärische Organisation zum Schutz der Pilger und der heiligen Stätten im Osten, sondern entwickelte im Laufe der Zeit ein ausgeprägtes Selbstbild, das tief in religiöser Hingabe, ritterlichen Tugenden und loyalem Dienst gegenüber Kirche und König wurzelte. Besonders eindrücklich zeigt sich dieses Selbstverständnis in erhaltenen Briefen, Urkunden und Verwaltungsdokumenten des 13. und frühen 14. Jahrhunderts.

Auserwählte Diener für Frieden, Ordnung und Glauben

In den schriftlichen Quellen des Ordens wird immer wieder deutlich, dass die Templer sich selbst als Werkzeuge göttlicher Ordnung sahen. Sie betrachteten sich als auserwählte Instanzen, die für die Wahrung des Friedens, den Schutz der Kirche und die Verteidigung des wahren Glaubens verantwortlich waren. Diese Vorstellung durchdrang ihr gesamtes Handeln, sei es im Krieg oder im Alltag innerhalb der Komtureien.

Die Formulierungen in den Urkunden unterstreichen dies: Oft wird von einer „divina gratia“ (göttlichen Gnade) gesprochen, die dem Templerorden seine Aufgabe verliehen habe. In den Selbstbezeichnungen der Brüder findet man Formeln wie servus Dei (Diener Gottes) oder milites Christi (Streiter Christi), die das religiös durchdrungene Selbstbild verdeutlichen.

Zwischen göttlicher Berufung und weltlicher Loyalität

Interessant ist der Blick in die aragonesischen Quellen: Hier tritt neben der spirituellen Berufung eine ausgeprägte Loyalität zum König zu Tage. Diese Haltung folgt dem klassischen ritterlichen Ideal, das Gehorsam, Ehre und Pflichterfüllung gegenüber dem Lehnsherrn hochschätzte. Die Templer waren sich bewusst, dass ihre Macht und ihr Einfluss auch durch die weltliche Herrschaft legitimiert und geschützt wurden.

So lässt sich im Selbstverständnis eine Doppelorientierung erkennen: Einerseits fühlte man sich dem himmlischen König Christus verpflichtet, andererseits dem irdischen König, dem man oft Land, Rechte oder Schutz verdankte.

Demut in der Hierarchie: Die humilis-Formel

Ein bemerkenswertes sprachliches Detail in den Urkunden ist die Verwendung der humilis-Formel – ein Ausdruck von Demut und Unterordnung. Interessanterweise wurde diese Formel offenbar nicht gleichmäßig verwendet, sondern trat häufiger bei Templern niedrigeren Ranges auf. Je höher der Rang eines Schreibers innerhalb des Ordens, desto seltener erscheint diese Formel.

Dies deutet auf eine bewusste sprachliche Differenzierung hin: Niederrangige Brüder betonten ihre Unterordnung, während hochgestellte Templer ihre Autorität stärker in den Vordergrund rückten – ein Spiegel der streng durchorganisierten Hierarchie des Ordens.

Zwei Tonlagen – Zwei Adressatenkreise

In der Korrespondenz des letzten Großmeisters Jacques de Molay wird diese Spannung besonders deutlich:

  • In Briefen an Ordensbrüder dominieren spirituelle Themen wie das Heil in Christus, Treue im Glauben und der Verweis auf den ewigen Lohn.

  • In der Korrespondenz mit weltlichen Herrschern dagegen treten diese geistlichen Aspekte zurück. Hier dominieren politische Argumente, strategisches Denken und höfische Formulierungen. Der Großmeister passte Ton und Inhalt also dem Adressatenkreis an – ein Hinweis auf die hohe diplomatische Kompetenz innerhalb des Ordens.

Fazit: Ein Orden zwischen Himmel und Erde

Das Selbstverständnis der Templer war geprägt von einer religiösen Sendung, einem ritterlichen Ethos und einer strategisch-politischen Klugheit. Sie verstanden sich als Brüder im Dienste Christi, eingebettet in eine feste Hierarchie, und als loyale Untertanen ihrer weltlichen Herren. Ihre Urkunden und Briefe zeigen, wie sie sich selbst als Teil einer höheren Ordnung sahen – bereit, für diese Ordnung zu kämpfen, zu leiden und zu sterben.

Fiat Lux.
Ralph von Reichenberg, GM