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Darum solltest du nicht jeder Ernährungsstudie glauben

Die meisten Lebensmittelstudien sind nicht haltbar
Kaffee ist krebserregend. Kaffee schützt vor Krebs. Kaffeetrinker:innen erkranken seltener an Alzheimer oder Parkinson. Und Kaffee lässt weibliche Brüste schrumpfen. Das sind nur einige der Schlagzeilen, die regelmäßig zu lesen sind. Anderen Lebensmitteln ergeht es nicht besser, ebenso wie Nahrungsbestandteilen wie Fett, Kohlenhydraten oder Proteinen. Alles ist mal gut, mal schlecht – je nach Einzelstudie.
Im Jahr 2012 veröffentlichten die US-Wissenschaftler Jonathan Schoenfeld und John Ioannidis eine Metaanalyse, deren Titel allein schon Bände spricht: „Ist alles, was wir essen, mit Krebs verbunden?“ Hierfür suchten sie sich aus diversen Kochbuchrezepten 50 Allerweltszutaten und durchsuchten einschlägige Datenbanken nach Einzelstudien, die zu diesen Zutaten durchgeführt worden waren. Für 80 Prozent fanden sie wissenschaftliche Studien, die diesen Lebensmitteln krebsfördernde oder krebshemmende Wirkungen zusprachen. Die meisten Studien wiesen jedoch methodische Fehler auf oder ließen schlicht die publizierte Schlussfolgerung nicht zu.

Das Fazit: Nicht die Lebensmittel sind das Problem, sondern die Studien und wie sie durchgeführt sowie interpretiert werden. Warum ist das so?

Die Macht der Schlagzeilen
Bleiben wir bei der Schlagzeile, dass Kaffee weibliche Brüste schrumpfen lässt. Dieser Mythos hält sich beharrlich in den Medien, auch noch zehn Jahre nach der schwedischen Studie. Das Skurrile: Diese Studie sagt das überhaupt nicht aus. Die Forschenden verglichen Frauen, bei denen eine bestimmten Variante des CYP1A2-Gens vorkam, mit Frauen ohne diese Variante. Das Genprodukt spielt eine Rolle bei der Verstoffwechselung von Koffein und möglicherweise auch bei der Entstehung von Brustkrebs. Gleichzeitig fragten sie die Frauen nach ihrem Kaffeekonsum (moderat oder viel) und maßen einmalig den Brustumfang. Sie stellten fest, dass die Frauengruppe mit einer bestimmten Genvariante, die viel Kaffee trank, tendenziell kleinere Brüste hatte. Eine kaffeetrinkende Frauengruppe mit einer anderen Genvariante hatte dagegen größere Brüste.
Vielfach übernehmen Medien ungeprüft Pressemeldungen über Studienergebnisse. Eine scheinbar sensationelle Falschmeldung verbreitet sich dann wie ein Lauffeuer. Denn natürlich lassen sich Schlagzeilen wie „Kaffeegenuss lässt Brüste schrumpfen“ besser verkaufen als „Eine bestimmte Variante des Gens CYP1A2 tritt bei weiblichen Kaffeevieltrinkern in Kombination mit einem geringeren Brustvolumen auf“.

Ob zum Beispiel Tofu das Brustkrebsrisiko verringert, das erklären wir hier.

Eine selektive Berichterstattung verzerrt das öffentliche Bild
Die Ergebnisse der Studie wurden nicht nur falsch, sondern auch unvollständig wiedergegeben. Denn schließlich hatte eine zweite Frauengruppe ja größere Brüste. Dieses selektive Heraussuchen von Schlussfolgerungen nennt sich Subgruppenanalyse oder Rosinenpicken (Cherry picking) und kommt bei Forschenden und Journalist:innen gleichermaßen vor. Die eigentliche Aussage wird dadurch verzerrt.

Was es mit dem schlechten Ruf von Glutamat auf sich hat, das erklären wir hier.
Hinzu kommt, dass in der Regel gar nichts veröffentlicht wird, wenn bei einer Studie keine signifikanten Ergebnisse festgestellt werden – oder es wird nicht darüber berichtet. Schlagzeilen wie „Eine Studie zeigt: Warmer Grießbrei ist lecker, macht aber weder krank noch gesund“ verkaufen sich eben nicht gut.

Ein weiteres Manko der schwedischen Studie war die geringe Anzahl an teilnehmenden Frauen. Das führt uns zu einem zweiten Schwachpunkt von Lebensmittelstudien.

Viele Einzelstudien sind methodisch falsch designt
Bei der Planung von Lebensmittelstudien müssen Forschende viele Dingen berücksichtigen, damit sie zum Schluss mit Fug und Recht behaupten können, dass ihre Schlussfolgerungen stimmen. Die Gefahr von methodischen Fehlern ist aber immer hoch. Wissenschaftler:innen sprechen von Bias, das heißt Verzerrung. Nur einige Beispiele:
Response Bias – die Antworttendenz
Für Lebensmittelstudien werden die Studienteilnehmer:innen oft zu ihren Lebens- und Ernährungsgewohnheiten befragt. Menschen tendieren in einer solchen Situation dazu, Antworten zu geben, von denen sie annehmen, dass ihr Gegenüber sie erwartet. Zudem erinnern sie sich nicht immer an alle Details in der Vergangenheit.

Selection Bias – die Stichprobenverzerrung
Die Auswahl der Proband:innen muss zufällig erfolgen. Dabei sind Faktoren wie Alter, Geschlecht, Sozialstatus, kultureller Hintergrund oder Gesundheitszustand relevant. Suche ich aber zum Beispiel Studienteilnehmer:innen über das Internet, spreche ich automatisch vermehrt medienaffine und jüngere Menschen an. Die Studiengruppe ist dann nicht repräsentativ.

Anzahl der Teilnehmenden und Beobachtungszeit
Die Größe einer Probandengruppe und die Zeit der Beobachtung hängt ab von dem zu erwartenden Effekt. Bei Lebensmitteln ist dieser in der Regel sehr klein. Dementsprechend groß muss die Anzahl der Studienteilnehmer:innen sein, um einen zufälligen Befund auszuschließen. Die Proband:innen müssen im optimalen Fall viele Monate oder Jahre beobachtet werden. Wenn also eine Studie mit 20 Männern nach nur zwei Wochen Beobachtung feststellt, dass der Konsum von Walnüssen den Blutdruck senkt, darf das getrost infrage gestellt werden.

Studien werden mitunter falsch interpretiert
Wurde eine Lebensmittelstudie mit vielen Menschen über einen längeren Zeitraum erfolgreich durchgeführt, geht es nun darum, die Ergebnisse sinnvoll und vor allem korrekt auszuwerten.
Signifikanz und der p-Wert
Ist in Studien von signifikanten Ergebnissen die Rede, geht es meist um den sogenannten p-Wert. Der beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit welcher das Testergebnis von einem zufälligen Befund abweicht. Je kleiner der Wert – der immer zwischen 0 und 1 liegt –, umso wahrscheinlicher. Bei einem p-Wert von 0,01 etwa würde ein Prozent der Ereignisse zufällig auftreten. Ermittelt wird der p-Wert mit der Hilfe statistischer Tests. Schauen wir noch einmal auf die zuvor angesprochene Metastudie von Schoenfeld und Ioannidis: 75 Prozent der potenziell Krebs-assoziierten Kochzutaten zeigten nur eine sehr schwache oder sogar keine statistische Signifikanz. Derartige Ergebnisse sind wissenschaftlich nur bedingt belastbar.

Ursache und Wirkung: Korrelation oder Kausalität?
Ein besonders anschauliches Beispiel wurde im Jahr 2004 von Thomas Höfer und Kolleginnen vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) veröffentlicht: Sie stellten einerseits fest, dass die Storchenpopulation in Berlin und Brandenburg seit 1990 stetig zunahm. Im gleichen Zeitraum stieg andererseits die Geburtenrate in Berlin, genauer die Anzahl der Babys, die außerhalb von Krankenhäusern zur Welt kamen. Ganz offensichtlich korrelieren die Anstiege, zeigen also einen lokalen, zeitlichen Zusammenhang.

Dennoch leuchtet ein, dass diese als „Theory of the Stork“ bekannte Theorie keine kausale Abhängigkeit aufweist. Grund für solche Scheinkorrelationen sind fehlerhaft ausgewertete Daten.

Ebenso kritisch müssen Lebensmittelstudien betrachtet werden. Lebt eine Gruppe wirklich länger, weil sie in den letzten 15 Jahren dreimal pro Woche fünf Äpfel gegessen hat? Oder hat diese Gruppe etwa zusätzlich regelmäßig Sport getrieben? Dies führt uns zum nächsten Punkt.

Menschen sind mehr als die Summe ihrer Zellen
Lebensmittel sind komplex, Menschen auch: Alter, Geschlecht, Stoffwechselbesonderheiten, Gesundheit, Fitness. Verschiedene Menschen reagieren unterschiedlich auf ähnliche Lebensmittel. Das macht Lebensmittelstudien nicht einfacher.
Für eine verwertbare Lebensmittelstudie wären wie in Medikamentenstudien zwei Gruppen von optimalerweise mehreren Hundert Proband:innen nötig, die sich exakt gleich ernähren. Alle müssten gleich viel Sport treiben oder spazieren gehen, rauchen oder nicht rauchen. Die eine Gruppe erhielte dann zusätzlich ein Nahrungsmittel A, die andere ein Nahrungsmittel B. Weil der zu erwartende Effekt gering ist, müsste die Studie zudem über viele Jahre laufen.

In der groß angelegten EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) werden seit 1992 über 500.000 Männer und Frauen in Europa gesundheitlich überwacht, mit einem Blick auf Ernährung und Verhalten. Eine solche Langzeitstudie ist sicherlich schon besser als kurzfristige Einzelstudien, die Frage nach möglichen Kausalitäten bleibt jedoch. Denn nach wie vor spielen viele Faktoren im Leben der Menschen eine Rolle. Menschen essen nie nur ein einzelnes Nahrungsmittel.

Bleiben wir beim Kaffee. Stammt das Koffein aus einem schwarzen Espresso auf nüchternen Magen oder aus einer zuckerhaltigen Cola zusammen mit Burger und Pommes? Für eine Aussage über die Wirkung von Koffein macht dies einen großen Unterschied.

Forscher:innen sind auch nur Menschen
Unwissenheit oder falsche Herangehensweise sind nicht die einzigen Fallstricke bei Lebensmittelstudien. Immer wieder werden Wissenschaftler:innen auch der bewussten Fälschung von Daten überführt oder es beeinflussen andere Faktoren das Ergebnis einer Studie.
Datenfälschungen kommen öfter vor
Hier ein paar Messwerte gelöscht, dort einige etwas verändert, und schon zeigt die Studie den gewünschten Effekt. Bekanntes Beispiel ist der Kardiologe Dipak Das, der in den 1990er-Jahren viel über Resveratrol forschte. Diesem Bestandteil des Rotweins wird eine herzschützende Wirkung nachgesagt. Dipak Das wurden Fälschungen in mehr als 20 Publikationen nachgewiesen.
Gründe für bewusste Täuschung mag es viele geben. Einer ist sicherlich das Wissenschaftssystem an sich, das Forschende durch Publikationszwang und erfolgsgebundene Eigenfinanzierungen unter massiven Druck setzt. „Publish or Perish“ – „Veröffentlichen oder Untergehen“ ist unter Wissenschaftler:innen eine geflügeltes Wort.

Firmen nehmen Einfluss
Die oben erwähnte Walnuss-Studie wurde unter anderem von der „California Walnut Commission“ finanziert. Interessenverbände und Firmen versuchen auf diese Art und Weise, Einfluss auf Forschungsergebnisse zu nehmen. Hier lohnt sich der kritische Blick ins Kleingedruckte.

Artikel Abschnitt: Und jetzt? So findest du vertrauenswürdige Ernährungsempfehlungen
Und jetzt? So findest du vertrauenswürdige Ernährungsempfehlungen
Unabhängige Fachgesellschaften wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sprechen regelmäßig Empfehlungen aus, wie eine optimale Ernährung aussieht. Diese Empfehlungen ändern sich hin und wieder, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der DGE ständig ernährungswissenschaftliche Ergebnisse auswerten und neu bewerten.
Metaanalysen sind zuverlässiger als Einzelstudien
Metaanalysen werten viele Einzelstudien zu einem Thema aus und fassen die Ergebnisse zu einem Gesamturteil zusammen. Sie hinterfragen Studiendesigns, überprüfen Methoden zur Datenanalyse und haben automatisch eine hohe Fallzahl zur Verfügung. Wenn eine solche Analyse korrekt durchgeführt wurde, ist das Ergebnis zuverlässiger als die Einzelstudien und kann damit die sogenannte empirische Evidenz erhöhen.
Übrigens: In einer 2019 veröffentlichten Metastudie konnte kein krebserzeugender Effekt von Kaffee festgestellt werden.

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