Die fünfte Stufe des Glaubens:

Verbindender Glaube
In der Theorie der Glaubensentwicklung nach James W. Fowler beschreibt die fünfte Stufe, der verbindende Glaube, eine Phase, in der die zunehmende Komplexität des Lebens und die Erkenntnis, dass individuelle Überzeugungen keinem einfachen Schwarz-Weiß-Schema folgen, zu einem umfassenderen Glaubensverständnis führen.

Integration kontroverser Positionen und Relativierung
Im verbindenden Glauben werden kontroverse Positionen nicht mehr starr vertreten, sondern durch Relativierung und Akzeptanz des Andersartigen integriert. Individuen sind offen für die Vielfalt von Ansichten und Meinungen und entwickeln ein dialogisches Wissen, das auf dem Austausch und der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven basiert.

Kritisch-reflektiertes Denken und Fähigkeit zur Verbindung
Der verbindende Glaube ist keineswegs ein oberflächlicher “Wishy-washy-Glaube”, sondern bleibt kritisch-reflektiert. Dennoch zeichnet er sich durch die Fähigkeit aus, sich mit Andersgläubigen zu verbinden und gemeinsame Werte wie Liebe und Vertrauen zu teilen. Es ist ein Glaube, der auf Ökumene und gegenseitigem Respekt basiert.

Zweite Naivität und Neubewertung von Symbolen
In dieser Stufe kommt es auch zu einer “Zweiten Naivität”, wie von Paul Ricoeur beschrieben. Symbole, die in früheren Stufen abgelegt wurden, werden nun mit einer konzeptionellen statt wörtlichen Bedeutung versehen. Die bisherige Lebensgeschichte wird neu interpretiert und Aspekte, die zuvor im Unterbewusstsein verblieben, werden bewusst wahrgenommen.

Paradoxien und wechselnde Loyalität
Trotz des fortschreitenden Glaubensentwicklungsprozesses bleiben in dieser Stufe viele Diskrepanzen und Paradoxien bestehen. Die Bereitschaft, sich im Dienst anderer unter dem Banner allgemeiner Werte wie Liebe und Vertrauen selbst zurückzustellen, wechselt mit dem Bedürfnis nach Selbstschutz und individueller Loyalität.

Bedeutung für die spirituelle Entwicklung
Der verbindende Glaube markiert einen Höhepunkt in der spirituellen Entwicklung eines Individuums. Er ermöglicht es, komplexe und widersprüchliche Aspekte des Glaubens zu integrieren und eine tiefere Verbindung zu anderen Menschen und zu spirituellen Prinzipien zu finden. Trotz der bestehenden Paradoxien bietet diese Stufe eine reiche Grundlage für ein erfülltes und reflektiertes spirituelles Leben.