Gedanken am 8. September
Wenn es uns gelungen ist, uns psychisch von unseren Eltern
abzunabeln und ein eigenständiges Selbstgefühl zu entwickeln,
haben wir uns als junge Erwachsene spezifische Antworten
auf die großen Fragen »Wer bin ich? Was ist der Sinn
des Lebens? Gibt es einen Gott?« zurechtgelegt. Doch erst
tun die Mitte des Lebens gelangt unsere Spiritualität zu
wirklicher Reife, und zwar durch die Erfahrung dessen, was
der Theologe James Fowler das »Sakrament der Niederlage
« nennt. Unser jugendlicher Idealismus zerbröckelt, und
wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß es keine eindeutigen
Antworten auf die Widersprüche des Lebens gibt
und keine Möglichkeit, der Unbeständigkeit aller Dinge und
dem Leiden zu entrinnen. Wir erkennen, daß guten Menschen
ebensohäufig Schlimmes widerfährt wie bösen – wenn
nicht sogar noch häufiger. An diesem Punkt bricht das Gerüst
äußerlicher Religiosität häufig zusammen, und wenn wir
die sich daran anschließende »dunkle Nacht der Seele« heil
überstehen, kann ein tieferes spirituelles Verständnis hervorscheinen.
Tempelarbeit:
Mache heute wenn möglich wieder einen achtsamen Spaziergang
durch die Natur. Denke anschließend über die religiösen oder
spirituellen Vorstellungen nach, die du alsjunge(r) Erwachsene(r)
hattest. Hast du an irgendeinem Punkt deines Lebens das »Sakrament der Niederlage« empfangen – ein so tiefes Leid erfahren, daß alle deine bisherigen Ansichten über das Universum wie ein Kartenhaus einstürzten? Wenn ja, begannen sich anschließend irgendwelche neuen spirituellen Uberzeugungen in dir abzuzeichnen?
Mache dir ein paar Notizen.