Templer - Blog

Heute ist der Todestag des 8. Templergrossmeisters

Odo de Sancto Amando. 1171-8. Oktober 1179

Kurz vor Philipp hatte der Johannitergrossmeister Gilbert d’ Assalit
(d’Assailly) sein Amt niedergelegt und war -anders als Philipp -in
eine Einsiedelei gegangen. Weder darüber, noch von dem Streit, der
danach im Johanniterorden ausbrach, berichtet Wilhelm von Tyrus
etwas. Die merkwürdige Gleichzeitigkeit der beiden Amtsniederlegungen
ist nie beachtet worden. Wünschte man auch im Templerorden, die Entscheidungen
des Grossmeisters von den Entschlüssen des Konvents abhängig
zu machen, wie man von Gilbert d’Assalit verlangt hatte, wenn er
sein Amt wieder aufnehmen würde, und kehrte Philipp aus diesem
Grunde in den königlichen Dienst zurück? Auch diese Frage muss offen
bleiben.

Der Templerorden konnte oder wollte seine enge Verbindung zum
König nicht lösen, wie es sich bei der Wahl des neuen Grossmeisters erwies.
Odo de Sancto Amando gehörte zum Hofadel, kam aber nicht
aus der hohen Aristokratie des Landes wie sein Vorgänger. Er wird 1155
zum ersten Mal als Lehnsmann des Königs genannt. Barones regis und
homines regis, unter denen Odo hier der erste ist, werden unterschieden.
Man hat Odo zu einem Sohn des Archembaldus de Sancto Amando, einem
Begleiter Hugos de Payns machen wollen; die Beweise fehlen. Es ist
auch nicht erwiesen, ob er aus dem Hause St. Chamas = St. Amant,
das in der südlichen Provence beheimatet ist (Bouches-de-Rhöne),
stammt, deren Söhne im 13. Jahrhundert den Königen von England
dienten. Er war nicht Feudalherr. Er besass ein Rentenlehen; zu den
höchsten Hofämtern, dem des Connetable oder Seneschall, ist er nicht
aufgestiegen.

1156 wurde Odo königlicher Marschall. Am 17. Juni 1157 geriet er
mit dem späteren Grossmeister Bertrand und anderen in Gefangenschaft,
aus der er 1159 zurückkehrte. 1160 war er Burgvogt und vicecomes von
Jerusalem, 1164 Mundschenk. Als Träger dieses Amtes warb er 1165
am Hofe zu Konstantinopel für König Amalrich um Maria Komnena,
eine Grossnichte Kaiser Manuels. Er geleitete sie auch zwei Jahre später
nach Tyrus: Inderm Dominus Hernesiiis, bonae memoriae Caesariensis
archiepiscopus, Odo quoque dEsancto Amando, tunc regius pincerna, procurata
tarn prudenter quam fideliter domini regis legatione . . . apud Tyrum
applicant (WvT 20,1). Dieses Lob Wilhelms soll hervorgehoben werden,
weil er Odo später so heftig tadelte.

In den folgenden Jahren nahm Odo wohl an den Feldzügen nach
Ägypten teil. Er trat vor dem 4. Februar 1171 in den Templerorden,
denn an diesem Tage verfügte König Amalrich, dass Odos Stiftung aus
den Einkünften des Mundschenkenamtes auch nach seinem Eintritt in
den Orden dem Leprosenkonvent von S. Lazare zukommen solle; als
Laie wird Odo zuletzt im August 1167 bei seiner Rückkehr aus Byzanz
erwähnt. Vor seiner Wahl zum Grossmeister -wohl noch im Jahr 1171
hatte er nicht lange dem Orden angehört.

Wenn König Amalrich geglaubt hatte, am Templerorden unter der
Leitung seines ehemaligen Hofbeamten ein gefügiges Werkzeug zu haben,
so sah er sich getäuscht. Wilhelm von Tyrus berichtet, dass die Assassinen
sich hätten bekehren wollen, wenn ihnen ihr Tribut an die Templer
2.000 Besanten -erlassen würde1. Diese schi’itische Sekte, die im
Norden der Grafschaft Tripolis in den Bergen Syriens lebte, hatte ihr
Haupt in Persien. Dort hatte in dieser Zeit eine religiöse revolution stattgefunden.
Vielleicht suchte der syrische „Alte vom Berge”, Raschid ad-
Din oder Sinan, von seinem persischen Oberen verlassen und mit den
Muslim-Staaten Syriens verfeindet, Anschluss an das christliche Königreich. In einer Zeit, wo die antiajjübidische Partei in Ägypten Verbindung
mit den Christen aufnahm, wo Byzanz und die Franken einen
gemeinsamen Angriff auf Ägypten planten, scheint der Assassinen-
Scheich den Christen seine Hilfe gegen Nür ad-Din angeboten zu haben.
Ob der Templergrossmeister durch diese Verbindung die Interessen des
Ordens in Tripolis – wo er bedeutende Besitzungen hatte – gefährdet
sah, ob er fürchtete, den Tribut des Scheichs zu verlieren, obwohl der König
ihm (angeblich) zum Ausgleich dieselbe Summe zu zahlen versprochen
hatte, ein Templer tötete den Boten des Scheichs, wie Wilhelm
meint de conscientia fratrum, und verhinderte damit das Zustandekommen
eines Bündnisses. Wilhelms Bericht ist hier nicht unbedingt zuverlässig:
weder die Bekehrungsabsicht des Scheichs noch das Geldangebot
des nicht vermögenden und geizigen Königs, pecunie cupidus supra quam
regiam deceret honestatem (WvT 19,2), ist glaubwürdig. Odo bestrafte
den Mörder und beabsichtigte, ihn zu weiterer Bestrafung nach Rom
zu senden, doch er weigerte sich, dem Könige den Schuldigen auszuliefern,
der allein seiner und des Papstes Strafgewalt unterstünde. Leider verschweigt
Wilhelm von Tyrus jene hochmütigen Worte a spiritu superbiae
dictata, die Odos Absage begleiteten und die den König besonders auf-
brachten. Widerstand aber leisteten die Templer nicht, als der König
in das Templerhaus von Sidon eindrang und den Übeltäter fr. Walter de
Mesnil mit Gewalt nach Tyrus führte; auch das muss besonders betont
werden. Es war König Amalrichs Absicht, „mit Königen und Fürsten
des Erdkreises jenen Rechtsstreit (questionem) per honestissimos nuntios
auf das sorgfältigste untersuchen zu lassen”, sein Tod liess es nicht mehr
dazu kommen. Wollte er dem Orden seine Rechte und Freiheiten nehmen?
Machte der König den Grossmeister für den Mord verantwortlich, oder hat
ihn nur sein Widerstand erbittert? Da Wilhelm von Tyrus voreingenommen
urteilt, sehen wir nicht klar.

Odo war nach den dem Orden verliehenen Privilegien im Recht. Es ist
die Zeit der Auseinandersetzung Heinrichs II. mit Thomas Becket.
Beide Widersacher der Könige waren zuvor in ihren Diensten gestanden,
was den Konflikt hier und dort verschärfte. Thomas Becket wurde ermordet.
Dass der Grossmeister des Templerordens, den König Amalrich
für seinen zuverlässigsten und treuesten Helfer gehalten hatte, ihm entgegentrat,
war der schwerste Schlag, der ihn treffen konnte. Es hatte sich
kein Widerstand erhoben, als König Amalrich unter Grossmeister Bertrand
12 Templer hinrichten liess. Philipp de Neapoli war auch als Ordensmann
ihm zu Diensten gewesen. Mit Odo de Sancto Amando beginnt
die Zeit der Autonomie des Ordens.

Zehn Jahre später verfuhr Heinrich II. nachsichtiger mit dem Templer
Gilbert von Hoxton, der Zehntengelder unterschlagen hatte und mit dem
Galgen hätte bestraft werden sollen: misertus illius eo quod familiaris ei
exstiterat, tradidit eum magistro Templi Londoniarumpraecipiens ei, quodsecundum
ordinis statuta eum tractaret, was auch erfolgte. Gilbert hatte allerdings
nicht wie jener Walter de Mesnil die Politik des Königs durchkreuzt.

Auf den Tribut der Assassinen konnte der Orden gerade in dieser Zeit
schwer verzichten. Zu Anfang der 70 er Jahre hatte er grosse Verluste erlitten,
als der Armenierfürst Mleh, der Templer gewesen sein soll, sich
nach dem Tode seines Bruders Toros, 1168, der Herrschaft bemächtigte
und sich mit Nür ad-Dln verbündete. Er raubte den Templern ihren
ganzen Besitz in Klein- Armenien, der – wie man annehmen darf – inmitten
des christlichen Reiches Armenien nicht genügend gegen Angriffe
geschützt war. Ausser den Burgen Baghräs und Darbsäk und dem Gebiet
um Alexandrette bestand er in Ländereien, die von Einheimischen
bewirtschaftet wurden. Ihre Abgaben in Naturalien unterhielten die
Brüder in den Burgen des ganzen Landes, die nicht überall von so umfangreichem
und fruchtbarem Hinterland umgeben waren wie hier. Erst
nach Mlehs Tod, 1175, erhielten sie ihre Güter zurück; sie waren um
den Ertrag und die Einnahmen vieler Jahre gebracht.

Delaville L Eroulx hat den Streit zwischen Angehörigen des Templer und
Johanniterordens im Jahre 1179, von der sogar der sogenannte
Benedikt von Petersborough berichtet, stark hervorgehoben, obwohl
er überhaupt erst durch den Friedensschluss in diesem Jahr bekannt
geworden ist. Die querelae, wie es in der päpstlichen Urkunde heisst, die
die Einigung bekräftigt, de terris, possessionibus, pecuniis et quibuslibet
aliis rebus,, die jetzt beigelegt werden, erscheinen nicht so schwerwiegend.
Besitz- und Rechtsverhältnisse an verschiedenen Orten mussten geklärt
werden und wurden es. Die Anzahl der Ritter war in beiden Orden nicht
gross, grösser die Klientel verschiedenster Herkunft. Ihre Besitzungen
waren weit verstreut. Die ihnen geschenkten Gebiete, z.B. bei Margat
und Valania, berührten oder überschnitten einander. Kein Katasteramt
hatte Grenzen festgelegt. Der Bedarf an Naturalien war auf beiden Seiten
dringend. Streit war da nicht zu vermeiden, nicht einmal Tätlichkeiten
bei diesen Männern verschiedener Herkunft, Sprache und Wesensart.
So hatten die Turkopolen der Johanniter Beduinen geraubt, die den
Templern Tribut schuldeten, ein Delikt, das man nicht dem Orden als
solchem anrechnen kann. Diese Streitigkeiten, die die beiden Grossmeister
jetzt und für alle Zeit beizulegen willens waren, haben kein politisches
Gewicht. Es gab auch solche mit anderen geistlichen Orden. Dagegen
gab es auch Freundschaftsverträge der Ordensmeister der Templer, der
Johanniter und des Ordens von Santiago, z.B. 1177 in Salamanca, und
der Meister der Orden von Calatrava, Santiago, der Templer und Johanniter
1224 in Carrion.

Der Tod König Amalrichs I . am 11. Juli 1174 traf das Königreich
schwer. Nür ad-Din war kurz zuvor gestorben. Der Reichsverweser für
den noch unmündigen Balduin IV. , Graf Raimund III. von Tripolis,
nahm die Partei des jungen Sohns und Erbens Nür ad-Dins in Aleppo
gegen Saladin, der Damaskus besetzt hatte. Die Feindschaft der Zengiden
gegen Saladin rettete das Königreich noch vor der drohenden Umklammerung.
Der junge, tapfere, aber schwerkranke König Balduin IV.
war, auch als er mündig wurde, trotz seiner Energie auf die Dauer nicht fähig,
sein Amt zu führen. Bei seinen Feldzügen in Nordsyrien 1175 und 1176
werden die Templer nicht erwähnt. Eine Reichsversammlung 1177, an
der auch Odo teilnahm, sollte einen Reichsverweser bestellen. Graf
Philipp von Flandern, auf dessen Kommen sich alle Hoffnungen gerichtet
hatten, lehnte es ab, den König zu vertreten, wich ständig einem Kampf
aus und vereitelte durch sein Zögern den schon von Amalrich geplanten
gemeinsamen Angriff von Byzantinern und Franken auf Ägypten. Das
wäre schon ein Grund gewesen, dass sich der Templergrossmeister mit ihm
entzweite, pro quibusdam regni negotiis, wie westliche Chronisten ohne
weiteren Kommentar berichten, wobei für die genannten templarii der
Grossmeister einzusetzen ist. Es scheint aber doch zu einer Einigung gekommen
zu sein; denn Templer und königliche Truppen zogen endlich mit
dem Grafen vor die Feste Härim, die er einzunehmen beschlossen hatte.
Aber auch diese einzige Waffentat des Grafen führte zu nichts; die Belagerung
wurde aufgegeben. Der Graf und die seinen schifften sich ein.

Es bleibt unverständlich und ist vielleicht nicht nur mit dem Widerstand
des Grafen zu erklären, warum ein so grosses Aufgebot an Kriegern
in den Westen entlassen wurde, ohne dass sie zu wirklichem Einsatz
gekommen waren. Ähnlich war es 1172 Heinrich dem Löwen ergangen,
den König Amalrieh und der Templergrossmeister vom Kampf zurückgehalten
haben sollen. Unter dem Geleit der Templer besuchte er mit
seinem Gefolge die Heiligen Stätten und kehrte ohne gekämpft zu haben
in die Heimat zurück, nachdem er Templer und Johanniter mit Waffen
und Geld zur Ausrüstung der Brüder reich beschenkt hatte. Es scheint,
dass die fränkischen Barone den „Kreuzfahrern”, die ausserhalb der grossen
Kreuzzüge immer wieder das Land aufsuchten, keinen Waffenruhm und
keinen Anteil an einer möglichen Beute gönnten.

Saladin benutzte die Abwesenheit des grössten Teils der christlichen
Streitkräfte zu einem Angriff auf Jerusalem von Süden her. Es gelang
dem kleinen Heer des Königs, dem der Grossmeister nur 80 Ritter zuführen
konnte, Saladin am 25. November 1177 vernichtend bei Montgisard,
südlich von Ramla, zu schlagen. Auch die arabischen Chronisten
bestätigen den Sieg der Christen. Nach allen Aussagen überwältigte eine
kleinEschar einen zahlenmässig weit überlegenen Gegner. Odos Tapferkeit
soll den Ausschlag gegeben haben, wie Radulphus de Diceto nach der
Erzählung eines Augenzeugen berichtet.

Demgegenüber verliert das Urteil Wilhelms von Tyrus: homo nequam,
superbus et arrogans, spiritum furoris habens in naribus, nec Deum timens,
nec ad kontinent habens reverentiam (21, 29), an Wert. Odo hat sich um die
Beilegung der schon seit Jahren bestehenden Händel mit den Johannitern
bemüht; er war ein fähiger Soldat, der wie seine Vorgänger an der Seite
des Königs kämpfte. Endlich ist er der erste, der eine Burg von einem
solchen Umfang baute, dass die Sarazenen sofort alles daransetzten, sie zu
zerstören. Um die nördliche Grenze Galiläas zu schützen und die grosse
Strasse Tiberias-Safed-Damaskus bewachen zu können, erbauten die
Templer mit Unterstützung König Balduins IV. im Herbst 1178 an der
Jakobsfurt über dem Jordan eine Burg, Le Chastelez (Mezad ‘Ateret), die
im Frühjahr 1179 errichtet war. Saladin soll ihnen 60.000 bis 100.000 Denare
dafür geboten haben, wenn sie sie selbst wieder zerstörten. Abü
Schäma gibt eine ausführliche Beschreibung von der Stärke der Befestigung.
Die Mauer war etwa 5 Meter breit, mehr als 10 Ellen (coudee),
aus etwa 20.000 riesigen Quadern erbaut; nur diese Quadern zu behauen
hatte 80.000 Denare gekostet. Der Zwischenraum zwischen den beiden
Quadermauern war mit Natursteinen ausgefüllt; er rühmt sogar die
ausserordentliche Festigkeit des Mörtels. Ernoul verlegt den Bau der
Burg in die Zeit nach dem 1180 mit Saladin geschlossenen Waffenstillstand;
die Templer hätten sich durch ihn nicht gebunden gefühlt und deshalb
den Bau übernommen und den König nur gebeten, um Schutz für
ihre Bauleute zu sorgen. Er irrt. In dieser Zeit trafen die Templer
noch keine Sonderabmachungen mit den Sarazenen: die Burg war zerstört,
ehe der Waffenstillstand geschlossen wurde. Auch der Connetable
Humfried von Toron ( II. ) errichtete in dieser Zeit nicht weit von der
Jakobsfurt entfernt seine neue Burg, ein weiterer Befestigungspunkt
zwischen der Jakobsfurt und Toron (Tibnin); auch er wäre in einen
Waffenstillstand einbezogen gewesen. Da Ernoul irrt, werden die Vorwürfe
Groussets und Richards gegen den Orden hinfällig.

Gegenüber der sich immer mehr festigenden Macht Saladins fehlte es
dem christlichen Heer an der einheitlichen Führung. Als sich im Sommer
1179 die Truppen des Königs nach einem siegreichen Gefecht in der
Ebene von Marj ‘Ayün am Leontes zerstreut hatten und auf einen
Angriff nicht vorbereitet waren, überfiel Saladin von Norden her die
Christen, ehe sie sich wieder sammeln und formieren konnten, und schlug
sie vollständig. Odo de Sancto Amando geriet in Gefangenschaft, in der
er am 8. Oktober desselben Jahres starb. Dass Saladin seinen Austausch
angeboten, er aber mit der Begründung abgelehnt habe, dass es nicht Sitte
bei den Templern sei, für einen Gefangenen mehr als einen Leibgurt und
ein Messer zu geben, ist Legende. Es sind mehrere Grossmeister aus der
Gefangenschaft zurückgekehrt; diese Regel existiert nicht. Nach arabischen
Nachrichten wurde sein Leichnam gegen einen arabischen Gefangenen
ausgetauscht. Am 30. August wurde auch die Burg an der
Jakobsfurt eingenommen und völlig zerstört. Fast alle Templer dort
fanden den Tod. Das Abendland erfuhr den Tod des Grossmeisters und
die Zerstörung der Burg durch Schreiben Papst Alexanders III. , der
den doppelten schweren Verlust für den Orden beklagt. Er hatte dem
Grossmeister viermal das Ordensprivileg Omne datum Optimum bestätigt.
In Citeaux gedachte man am 14. Juni des Untergangs der Templer an
der Jakobsfurt, qui secundum statuta s.patris Bernardi pro fide militantes
a Saladino . . . capti . . . ad aeternam felicitatem euolarunt.

Es bleibt zu fragen, warum Wilhelm von Tyrus diesen Grossmeister
noch über seinen Tod hinaus mit seiner Feindschaft verfolgte: er sei
von niemanden beklagt in der Gefangenschaft gestorben. Dabei ist
Odo der erste Templergrossmeister, den die Annales de Terre Sainte,
Ernoul und Amadi mit Namen nennen. Odo muss also einen über seine
Zeit hinausreichenden Eindruck hinterlassen haben. Zwei Gründe sind
vielleicht für Wilhelms Kritik geltend zu machen. Unter Odo zeigt sich
zum ersten Mal der Anspruch einer Autonomie des Ordens dem König
gegenüber, den auch der Erzbischof von Tyrus in seinem Bereich nicht
gelten lassen wollte. Die Geistlichkeit des Westens erhob in Odos Todesjahr
auf dem 3. Laterankonzil von 1179 Anklage gegen beide Orden wegen
Missbrauch ihrer Privilegien. Doch zeigen die zahlreichen, immer
wiederholten Privilegien und Schutzbriefe der Päpste auch, dass die
Prälaten sich zu wehren wussten und die Ordensleute des päpstlichen
Schutzes bedurften. Im Heiligen Lande lagen die Dinge anders. Wilhelm
von Tyrus sah mit aller Klarheit voraus, dass ohne die Führung
eines Königs, dem sich alle unterwarfen, das Land verloren war. Deshalb
erfüllten ihn die Unabhängigkeitsbestrebungen der Orden besonders
nach dem Tode König Amalrichs mit grosser Sorge. Zum anderen hatte
der Erzbischof, der 20 Jahre lang im Westen studiert hatte, ein aus-
geprägtes Bewusstsein von wirklichem Adel und misstraute Emporkömmlingen.
Das kommt immer wieder in seiner Chronik zum Ausdruck.
Konstanze von Antiochia heiratete unter ihren Stand, obwohl inclyti
und nöbiles sie umwarben, Rainald von Chätillon, quendam stipendiarium
militem . . . militem quasi gregarium. Die Grossmeister von „Familie”
und der Präzeptor von Tripolis Gilbert de Lacy (19,8), vir nobilis et armis
exercitatus, sind bei Wilhelm angesehen; beImilo de Plancy verträgt sich
sein Adel nicht mit seinem schlechten Charakter, nach Wilhelms
Urteil. Es liesse sich noch mehr anführen. Dieses Standesbewusstsein entsprach
zwar einer allgemeinen Anschauung, war aber bei der „grossen
Familie von Übersee” besonders ausgeprägt. Wilhelm von Tyrus
lehnte den einstigen „Mann des Königs” auch als seiner hohen Stellung
unwürdig ab.

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