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Wann wir unseren Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen?

Für den Klimaschutz sind der Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik zentral – aber nicht genug. Wie Deutschlands grüne Stromzukunft aussehen könnte.

Darum geht’s:
100 Prozent erneuerbare Energien sollen uns den Absprung von Kohlekraft und Atomenergie ermöglichen
Als das Sturmtief Hermine mit voller Wucht über Teile Deutschlands zieht, sind die Weihnachtsfeiertage 2020 gerade ein paar Stunden vorüber. Auf dem Brocken werden zeitweise Windgeschwindigkeiten von bis zu 130 Kilometern pro Stunde gemessen. Der Sturm entwurzelt Bäume, rast durch Städte und Dörfer – und zerrt mit aller Macht an den Rotoren der Windräder, die in seinem Weg stehen.
In der Strommarkt-Datenbank der Bundesnetzagentur sind diese Stunden als Schnittpunkt zweier Linien dargestellt: Die rote Linie für den Stromverbrauch trifft am frühen Morgen des 27. Dezembers mehrmals auf eine blaue Linie, die die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen anzeigt. Übersetzt bedeutet das: Dank Sturmtief Hermine steht dem Netz genügend Strom aus Windkraft zur Verfügung, um in Kombination mit Biomasse und Wasserkraft für einige Minuten die Versorgung des gesamten Landes zu decken.

Zumindest für einige Minuten ist am 27. Dezember 2020 – auch begünstigt durch den tageszeitbedingt relativ niedrigen Verbrauch – möglich, was in Zukunft rund um die Uhr die Regel sein soll: Eine Industrienation erzeugt genug grünen Strom, um ihren massiven Bedarf an Elektrizität komplett regenerativ zu decken, ohne die Hilfe von klimaschädlichen fossilen Energieträgern und der umstrittenen Atomkraft.

Der Weg ist noch lang
Aus der Ausnahme am 27. Dezember 2020 soll in den kommenden Jahrzehnten die Regel werden: Die Bundesrepublik will dauerhaft gleich beide wichtigen konventionellen Formen der Stromerzeugung hinter sich lassen und stattdessen auf eine vollständig erneuerbare Stromversorgung setzen. Noch sind wir davon aber weit entfernt:

Im Jahr 2021 kamen 42 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen
Bis 2030 soll der Anteil des EE-Stroms auf 80 Prozent steigen.
Spätestens 2035 soll dann laut Plänen der Bundesregierung die komplette Stromversorgung auf regenerativen Energieträgern basieren, also zu 100 Prozent erneuerbar sein.
Das Jahr 2045 ist die Zielmarke für 100 Prozent erneuerbare Energie – bis dahin soll also das gesamte Energiesystem (nicht nur Strom) auf regenerativen Energieträgern basieren.
Während vergleichbare Staaten wie Frankreich oder Großbritannien die Atomenergie in der Hinterhand behalten, um ihre Klimaziele zu erreichen, geht Deutschland – der Staat mit dem höchsten Strombedarf in ganz Europa – also aufs Ganze. Deshalb gilt die deutsche Energiewende als ambitioniertes, unter Skeptikern sogar als tollkühnes Projekt.

Darum müssen wir drüber sprechen:
Der Umbau der Stromversorgung ist für die gesamte Energiewende zentral
100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen – das klingt erstmal irgendwie machbar. Es bedeutet aber nicht, dass wir einfach alles, was wir jetzt mit Kohle und Gas erzeugen, durch Wind und Sonne ersetzen. Erschwert wird die Aufgabe dadurch, dass unser Strombedarf in Zukunft völlig neue Dimensionen erreichen wird. Denn Strom wird als Energieform auch für die Wärmeerzeugung und im Verkehr immer wichtiger. Strom soll nicht nur Smartphone-Akkus füllen und Glühbirnen leuchten lassen, sondern auch E-Autos und elektrische Wärmepumpen antreiben.
Das ergibt Sinn: Denn wo der direkte Einsatz von Strom möglich ist, wird Energie sehr viel effizienter genutzt als bei der Verbrennung, bei der ein großer Teil der Energie als Abwärme verloren geht. Deshalb gilt: Eine Wärmepumpe ist effizienter als eine Öl- oder Gasheizung, ein E-Auto effizienter als das Pendant mit Verbrennungsmotor. Außerdem wird bald auch die extrem stromhungrige Produktion von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen anlaufen. Diese sollen überall dort, wo Strom nicht direkt eingesetzt werden kann, nachhaltige Alternativen zu Öl und Gas werden – etwa im Flugverkehr oder der Stahlproduktion.

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Der Stromverbrauch wird steigen – aber wie schnell?
Weil so in den kommenden Jahrzehnten Millionen neuer Anwendungen dazukommen, werden wir nicht nur „grüneren“, sondern mittelfristig auch deutlich mehr grünen Strom brauchen. Wie schnell es wie viel davon sein muss, ist Inhalt einer anhaltenden Debatte in Politik und Wissenschaft.

Das Bundeswirtschaftsministerium geht bislang davon aus, dass der Bruttostromverbrauch bis 2030 steigen dürfte.
Wissenschaftliche Untersuchungen rechnen ebenfalls mit einem schnell steigenden Strombedarf. Auch eine Expertenkommission, die die Bundesregierung in Energiefragen berät, bezweifelt, dass der geplante Ausbau ausreichen wird, um am Ende den tatsächlichen Strombedarf zu decken.
Spätestens in der Mitte des Jahrhunderts wird der Strombedarf deutlich gestiegen sein: Statt wie zuletzt im Schnitt von etwa 500 Terawattstunden pro Jahr gehen Studien von einem Strombedarf von mindestens 700 Terawattstunden jährlich, die meisten aber eher von 1000 bis 1500 Terawattstunden aus.
Wind und Sonne liefern Energie im Überfluss
Um diesen riesigen Strombedarf erneuerbar zu decken, müssen vor allem die schlummernden Potenziale von Wind und Sonne aktiviert werden. Das bedeutet, noch mehr Windräder aufzustellen und noch mehr Flächen mit Fotovoltaikanlagen zu bestücken.

Potenzialanalysen gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 1200 Terawattstunden Strom aus Wind und Sonne produziert werden könnte – also deutlich mehr, als die 500 Terawattstunden, die wir aktuell in etwa verbrauchen. Nach Berechnungen von Aurora Energy Research könnte dieser Wert durch leistungsstärkere Anlagen bis 2040 auf 1800 Terawattstunden steigen. Alleine mit den beiden Zugpferden der regenerativen Stromerzeugung käme so auf das Jahr gesehen genug Strom zusammen, um den Bedarf des Landes zu decken.

Schade nur, dass die Sache etwas komplizierter ist:

Selbst wenn wir jeden verfügbaren Zentimeter Land mit Windrädern und Fotovoltaikmodulen bedeckten, wäre das alleine noch nicht ausreichend, um eine stabile Stromversorgung an jedem Tag, in jeder Stunde eines Jahres zu gewährleisten. Denn auf heftige Stürme an einem Tag folgen Flauten am nächsten, auf Abschnitte voller Sonnenschein wiederum Schlechtwetterperioden, in denen der Himmel tagelang von Wolken bedeckt ist. Die Jahresleistung der Windkraft- und Fotovoltaikanlagen kommt also nicht durch einen gleichmäßigen und bedarfsgerechten Ertrag, sondern als Ergebnis massiver Schwankungen in der Erzeugung zustande.

Für die Stromerzeugung hieße das: Mal produzieren Wind und Sonne große Überschüsse, die das Netz überlasten; mal so wenig, dass wir vorübergehend zu wenig Strom zur Verfügung hätten.

Es ist das Dilemma dieser Energiewende:

Wir sind zwar in der Lage, uns mit wolkenkratzerhohen Giganten die Bewegungsenergie des Windes nutzbar zu machen und mithilfe von Solarzellen Licht in elektrischen Strom zu verwandeln, bleiben am Ende aber doch ein Spielball der Natur. Wann uns Wind und Sonne genug Strom bereitstellen und wann nicht, liegt nicht in unserer Macht.

Biomasse und Tiefenerdwärme sind nur eine kleine Hilfe
Erschwerend kommt hinzu, dass jene Formen der erneuerbaren Energien, deren Output relativ stabil plan- und steuerbar ist, die deutsche Energiewende – Stand jetzt – nur sehr begrenzt unterstützen können:

Tiefengeothermie: Die thermische Energie, die in unserer Erde gespeichert ist, kann in Strom umgewandelt werden. Für eine halbwegs wirtschaftliche Stromerzeugung sind hohe Temperaturen von über 100 Grad notwendig, für die man tief in die Erde vordringen muss. Das ist vergleichsweise teuer, weil aufwendige Erkundungen notwendig sind. Auf deutschem Boden eignen sich ohnehin nur relativ wenige Standorte, weil durch Siedlungen und Straßen versiegelte Flächen ebenso ausscheiden wie Wälder oder Wasserschutzgebiete. Eine Studie der TU München geht von einem Potenzial von knapp 9 Terawattstunden pro Jahr aus.
Biomasse: Hier werden natürliche Rohstoffe wie Raps oder Holz verbrannt. Vor allem das rare Gut Boden ist hier ein limitierender Faktor: Um die Stromerzeugung durch Biomasse erheblich zu erhöhen, müssten landwirtschaftliche Flächen im großen Stil für den Anbau von Energiepflanzen umgenutzt werden. Doch diese umkämpften Flächen können – etwa um die Lebensmittelpreise möglichst stabil zu halten – nur eingeschränkt der Nahrungs- und Futtermittelproduktion entzogen werden. Außerdem entsteht auch bei der Verbrennung von Biomasse CO2 – wenn auch nur so viel, wie die Pflanzen durch die Fotosynthese eingelagert haben.
Wasserkraft: Der Anteil der teilweise steuerbaren Wasserkraft an der deutschen Stromerzeugung stagniert seit Langem bei rund 20 Terawattstunden und gilt als weitgehend ausgeschöpft. Durch Wellen- und Gezeitenkraftwerke in der Nordsee könnten zwar neue Potenziale entstehen, allerdings sind beide Kraftwerkstypen noch nicht marktreif.

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