Deutscher Putsch im Vatikan?
Benedikt-Biografie gewährt Einblicke in Ablauf des II. Konzils
Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hatte als Berater des Kölner Kardinals Frings eine Schlüsselrolle während des II. Vatikanischen Konzils. Was er als Erneuerung angestrebt hatte, sollte jedoch einen anderen als den erwünschten Verlauf nehmen.
In der im Mai dieses Jahres erschienenen, umfangreichen Biografie „Benedikt XVI. – Ein Leben“ des Journalisten Peter Seewald über den emeritierten Papst und früheren Kardinal Josef Ratzinger präsentiert der Autor auch eine Vielzahl an Hintergrundinformationen über die Vorgeschichte und den Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Beitrag des damaligen Bonner Theologieprofessors sowie des deutschen Klerus zu dem Ereignis, das folgenschwere Auswirkungen auf das Gefüge der Römisch-Katholischen Kirche haben sollte.
„Katholischer Frühling“ nach dem Krieg
Josef Ratzinger wechselte nach seiner Habilitation und einem kurzen Gastspiel an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising im Jahr 1959 auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an der Universität Bonn.
Einige seiner Aufsätze hatten zu diesem Zeitpunkt bereits breite Aufmerksamkeit erregt. Einer davon war der Text „Die neuen Heiden und die Kirche“, der erstmals im Oktober 1958 in der Zeitschrift „Hochland“ erschienen war. In diesem beklagte Ratzinger die Situation der Kirche in ihren Stammgebieten, insbesondere auch in Deutschland.
Die Schrecken der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges sowie die Bedrohung durch den Kommunismus hatten in der Adenauer-Republik einen „katholischen Frühling“ zur Folge. In dieser Phase machte sich die Gegnerschaft der Katholischen Kirche zu totalitären säkularen Ideologien der Moderne bezahlt, indem diese ein zuvor in Deutschland seit 1871 nicht gekanntes Maß an Anerkennung und Einfluss in den Institutionen des Gemeinwesens genoss.
Ratzinger sprach schon damals von Entweltlichung
Mit der institutionellen Größe ging jedoch keine Renaissance des Glaubens in der Breite der Bevölkerung einher. Vielmehr pflegten viele Katholiken wie schon vor dem Krieg einen säkularen Lebensstil und auch im Klerus wurde die Tradition beschworen, aber nicht gelebt, diagnostizierte Ratzinger. Zwar ging mit dem Glaubensverlust in Europa schon damals ein erheblicher Zustrom an Gläubigen in Ländern der sogenannten Dritten Welt einher, die Institutionen der Katholischen Kirche waren jedoch von Klerikern der Alten Welt dominiert.
Dass im Oktober 1958 Papst Pius XII. verstarb, sorgte für zusätzliche Unsicherheit über die Zukunft der Kirche. Nicht nur Ratzinger, sondern auch eine Vielzahl anderer Theologen und Kleriker sprachen in jener Zeit von tiefgreifenden Reformen, die in der Kirche erforderlich seien und die bröckelnde Glaubenssubstanz wiederbeleben sollten. Was darunter zu verstehen sei, darüber gingen die Vorstellungen auseinander.
Ratzinger sprach bereits damals von einer „Entweltlichung“, womit er unter anderem meinte, die Kirche solle weniger angepasst gegenüber der Welt sein, weniger Wert auf Prunk und materielle Repräsentationsgüter legen – und es sollten höhere Anforderungen an den Empfang der Sakramente gestellt werden. Auf diese Weise könnte die Kirche wieder zu einer „Gemeinschaft der Glaubenden“ werden und das „Heidentum mit Taufschein“ zurückdrängen.